Strategie

3 häufige Probleme beim Relaunch (und wie man sie löst)

Gabriel Beck
 Lesezeit: 8 Minuten    
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Chef zum Mitarbeiter: Meier, wir machen in 2017 wieder einen Relaunch. Wir wollen ein neues CMS einsetzen und der Vorstand findet die Webseite nicht mehr zeitgemäß. Die Anzahl der Sales/Leads hat in letzter Zeit ja auch zu wünschen übrig gelassen. Vielleicht sollten wir dabei gleich auf responsive Webdesign umsteigen.

Wer findet sich in dieser Situation wieder? Kaum hat man einen Relaunch überstanden, so folgt auch schon der nächste. Nach dem Relaunch ist vor dem Relaunch.

Gründe für einen Relaunch gibt es dabei wie Sand am Meer. Von der Technik, über Design, Nutzerführung und Aktualität der Inhalte bis hin zum Bauchgefühl ist alles denkbar. Doch bei jedem Relaunch schwingt das ungute Gefühl des letzten Relaunchs noch mit, fast wie ein unangenehmer Nachgeschmack beim Essen. Relaunches sind komplex. Es entsteht ein Gefühl des Erfolges, denn es gibt ja schließlich ein neues schickes Design. Die Zahlen zeigen jedoch häufig ein anderes Bild.

Das Horrorszenario bei einem Relaunch

Wer viel Zeit und Geld in ein neues digitales Abbild der Marke gesteckt hat, verspricht sich davon auch mehr Anfragen oder Sales. Doch häufig leidet die Conversion-Rate unter einem Relaunch. Wenn zu viele Stellschrauben auf einmal geändert werden, weiß keiner mehr, worauf die Veränderung in den Daten letztendlich zurückzuführen ist.

Doch wie können wir dieses Horrorszenario abwenden? Wie sichern wir einen Relaunch ab? Wie schaffen wir es, eine Webseite zu erneuern, ohne Bewährtes über Bord zu werfen? Drei häufige Probleme beim Relaunch und wie wir sie lösen:

Problem #1: Komplexität von Relaunchs

Wer einen Relaunch durchführt, erstellt in der Regel zunächst eine Anforderungsanalyse: Was brauchen wir für die neue Seite? Lasten- und Pflichtenheft halten fest, was wir zu tun haben. Ein Konzept beinhaltet alles, was wir ändern/ erstellen müssen. Bei Relaunchs denken wir dabei oft in Templates und unterschiedlichen Seiten, die wir gestalten müssen. Für diese Templates und Einzelseiten brauchen wir ein neues Konzept. Erst grob, dann fein. Feedbackschleife eins, zwei, drei und wir sind am Ziel – zumindest gefühlt. Das Problem an der Sache ist, dass wir gerne auch auf der „grünen Wiese“ anfangen. Wir möchten alles besser machen. All die Dinge, die vorher gestört haben, sollen nun besser werden.

Dann beginnt die eigentliche Arbeit – die Webentwicklung/Implementierung. Viele Unternehmen steigen aktuell auf responsive Webdesign um, was die Sache nicht einfacher macht. Hier müssen wir uns Fragen stellen, wie: Wann bricht die Seite um? Wie müssen sich die Inhalte anpassen? Gibt es womöglich spezielle Inhalte je nach Endgerät (device)? Abschließend wird die komplette Entwicklung qualitätsgesichert und es finden letzte Tests vor dem GoLive statt. Dann wird es ernst.

Doch das ist nur der idealtypische Ablauf eines Relaunchs. Ein Projekt, das in manchen Firmen mehrere Jahre dauert, ufert schnell aus. Klassischerweise wurden solche IT-Projekte nach dem Wasserfallprinzip durchgeführt.

relaunch-wasserfall

Im Laufe des Projektes ergeben sich aber schnell Änderungen. Die einstige Anforderungsanalyse stimmt nicht mehr. Das Konzept muss geändert werden. Neues Design, Abstimmungsschleife #1, #2 und #3. Eine Änderung am Konzept „fließt“ also einmal komplett den Wasserfall hinunter. Außerdem sind nicht alle Anforderungen zu Beginn des Projekts klar – das Projekt umfasst einfach zu viele Baustellen, die keiner vollumfänglich vorhersehen kann.

Lösung #1: Weg vom Wasserfall – hin zu agilen Sprints

Das Problem löst Du letztlich, indem Du das komplexe Projekt in Einzelschritte zerlegst. Hier kannst Du Methoden der agilen Softwareentwicklung wie „Scrum” einsetzen. Dabei solltest Du die Entwicklung unterschiedlicher Templates, die Implementierung neuer Features, CMS, etc. als Einzelsprints betrachten, diese im Sprint-Backlog auflisten und Schritt für Schritt abarbeiten. Dabei kannst Du das Backlog auch während des Projekts noch anpassen.

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Mit dieser Methode bist Du in der Lage, die Umsetzung einzelner Baustellen (Sprints) besser zu planen, durchzuführen und kontrollieren zu können. Sollte es zu Anforderungsänderungen kommen, kannst Du darauf „agil“ reagieren, d.h. die Änderung in einen Sprint einarbeiten. Im nächsten Sprint musst Du die geänderte Anforderung bereits in der Anforderungsanalyse berücksichtigen und das Sprint-Backlog anpassen.

Das ist viel wert, zielt es doch auf die bessere Steuerbarkeit und ein besseres Projektmanagement eines solchen Projekts ab. Den wirtschaftlichen Erfolg eines Relaunchs garantiert dies aber nicht, denn der Projekterfolg hängt nicht allein vom Projektmanagement ab. Das führt uns zum nächsten Punkt.

Problem #2: Ursache und Wirkung völlig unklar

Bei einem Relaunch möchten wir alles besser machen. Wir führen neue Features im Shop oder auf der Website ein – weil neue Technik besser ist. Zusätzlich arbeiten wir an der Informationsarchitektur, dem Design, den Inhalten, etc.

Wir können uns einen Relaunch wie die Steuerelemente im Cockpit eines Flugzeugs vorstellen, mit unzähligen Knöpfen und Schaltern. Ein Laie, der sich nicht mit den Funktionen der einzelnen Knöpfe auskennt, dreht einfach an 30-50 Knöpfen gleichzeitig. Entweder es führt zur Bruchlandung oder, wenn nicht, dann weiß er beim nächsten Mal auch nicht, welche der 50 Knöpfe nur eigentlich zum Ziel geführt haben.

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Das Ishikawa Diagramm bringt Ursache und Wirkung in Zusammenhang

Kein Mensch weiß nach dem GoLive noch, was das neue Design unterm Strich gebracht hat. Was haben die neue Features bewirkt? Welche Wirkung hatte die neue Auflistung der Produktbilder auf der Kategorieseite? Den Einfluss der Einzelelemente auf den Umsatz können wir schlichtweg nicht mehr nachweisen.

Lösung #2: Isoliere Effekte und mache sie sichtbar

Die Lösung ist recht simpel: Teste alle wichtigen Änderungen vorab – entweder per Website-Testing (A/B/n- Tests) oder im Probandenlabor. „Ja, aber das dauert alles zu lange!“, könntest Du  jetzt entgegnen. Korrekt. Deswegen ist es wichtig, dass Du nur die Ideen und Hypothesen beim Relaunch testest, die REVOLUTIONÄR sind. Ideen, die das Zeug dazu haben, Deine Zielgruppe zu beeinflussen.

Daher ist eine Priorisierung der Ideen im Vorfeld wichtig. Packe dafür alle Ideen auf den Tisch. Bewerte, wie viel Aufwand es ist, diese umzusetzen und auf der anderen Seite, welcher Einfluss auf die Kaufentscheidung zu erwarten ist. Es ergibt sich ein zweites Backlog – Das Testing-Backlog.

Problem #3: Die Wirkung des Designs wird unterschätzt

Bei einem Relaunch denken viele Projektverantwortliche an Redesign – die Neugestaltung des User-Interfaces. Das Problem hierbei: Ein Design ist nicht nur hübsch anzusehen, es erzielt auch unterbewußt eine Wirkung in unserem Gehirn. Es gibt Designs, die fühlen sich gut an, die passen zur Marke, transportieren deren Werte und sorgen dafür, dass unser Belohnungssystem so richtig in die Hände klatscht. Alles richtig gemacht! Und dann gibt es diese anderen Designs… Designs, die zwar auf den ersten Blick als ästhetisch und schön empfunden werden, die aber zu „glattgebügelt“ wirken. Die Erfahrung zeigt, dass solche Designs ein Störgefühl bei der Zielgruppe bewirken, vor allem, wenn es nicht zur Marke passt.

In der Vergangenheit haben wir bereits eine Case-Study vorgestellt, in der eine Probandenanalyse zum Relaunch von „Baby Walz“ durchgeführt wurde.

Design vorher

design vorher

 

Design nachher

design-nachher

 

Das Ergebnis unserer Studie: Die Usability des Onlieshops konnte verbessert werden. Die Seite wirkte aufgeräumter. Alles richtig gemacht. ABER…

Wirkung: deutlich aufgeräumter 

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Wirkung: Sortiment wirkt kleiner

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Wirkung: weniger authentisch und nahbar

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Wirkung: teurer!

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Das neue Design des Shops wirkte auf die Probanden im Vergleich zum alten teurer, weniger authentisch und das Sortiment wurde weniger vielseitig wahrgenommen. Die implizite Wirkung des Designs auf die Zielgruppe war leider nicht wie gewünscht. Ein Zitat, das man in diesem Zusammenhang immer wieder bringen kann:

david-ogilvy

Lösung #3: Sichere die Wirkung des Designs durch Tests ab

Untersuche bereits im Vorfeld eines Relaunchs das neue Design im Probandenlab oder führe bereits online A/B-Tests durch! So reduziert Du die Gefahr, Bestandskunden zu verwirren oder Neukunden falsch anzusprechen. Datengetriebene Entscheidungen zu fällen, liegt im Blut von Optimierern und gehört zu jedem Relaunch. Du kannst bereits Einzelaspekte des neuen Designs, wie die Headergestaltung oder das Layout von Kategorie- oder Produktseiten testen. Dein Vorteil: Du kannst Ursache und Wirkung direkt in Beziehung bringen.

Wir halten fest:

Eigentlich braucht der Conversion-Optimierer und auch jeder, der diese Prozesse verstanden hat, keinen Relaunch. Der letze Amazon Relaunch ist eine Weile her – keiner kann sich daran wirklich erinnern und das hat auch einen guten Grund. Agile Sprints sorgen permanent für Wachstum. ABER es gibt immer gute Gründe für einen Relaunch – mit dieser Realität müssen wir alle leben. Die Frage ist nur, wie Du methodisch an diesen Relaunch herangehst. Und darüber hinaus, wie schaffst Du es, Testing und Optimierungssprints unter einen Hut zu bringen?

Wie Du Optimierung, Testing & Entwicklung des Relaunchs vereinst

Die Antwort auf diese Frage ist relativ simpel: Einfach machen! Also: Testen, Ergebnisse interpretieren, Sprints planen und anschließend ausrollen.

agile-sprint-entwicklung-testing

Die Projekte in der Praxis zeigen, dass Testing-Sprints für die wichtigsten Ideen und Hypothesen einfach vor den Entwicklungs-Sprints stattfinden. Hierbei können wichtige Daten für eine Entscheidungsfindung gesammelt werden. Nach dem Reporting kannst Du auf Basis der Daten sagen, welches Konzept ausgerollt werden soll und welches nicht. Die Testing-Sprints verlangsamen Deinen Relaunch dabei nicht zwangsläufig. Außerdem kann bei den Entwicklungs-Sprints auf bereits entwickelte Codezeilen der Testing-Sprints zurückgegriffen werden. Ein weiterer Vorteil: Ein Testsieger kann per Testing-Tool sofort ausgespielt werden. Damit setzt Du dem Big-Bang-Relaunch ein Ende, denn es wird Schritt für Schritt die neue Website online gestellt.

Fazit

Ein Relaunch muss kein Mammut-Projekt sein. Zerlege ihn in Einzelbestandteile und sichere wichtige Hypothesen mit Testing ab, dann kann nichts mehr schief gehen! Im Gegenteil: Bei einem solchen Projekt lernst Du viel über die Zielgruppe. In der Regel  bringen die Testing-Sprints auch noch Testsieger hervor.  So wird der Relaunch erfolgreich!

 

 

Über den Autor

Gabriel Beck

Vorstand

Gabriel ist seit über 10 Jahren Conversion Optimierer und berät die konversionsKRAFT Kunden strategisch, ist Trainer für die Conversion Seminare und als Vorstand seit 2014 im Unternehmen.
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5 Kommentare

  1. Gravatar

    Micha,

    Neues Design = Erfolg ?
    Das habe ich in letzter Zeit sehr häufig erlebt. Das Unternehmen viel Geld in ein Relaunch investieren und sich wundern das der Umsatz nicht steigt. Zwar ist das Usability meisten deutlich verbessert, aber trotzdem kaufen die Kunden nicht mehr so viel.

    In eurem Beispiel wundert es mich jedoch gerade nicht. Da der neue Shop sehr von den „Standard“ abweicht.

    Was das Thema testen angeht, das ist sicherlich eine gute Möglichkeit um größere Fehler zu vermeiden. Jedoch scheitert es meistens an den Zusätzlichen kosten. Die nicht gerade ohne sind, wenn man aussagekräftige Ergebnisse haben möchte.

    Aber ein Toller Artikel, der mir sogar gerade bei einem Projekt hilft, wo ich einen Relaunch einer größeren Webseite durchführen muss.

    • Gravatar

      Gabriel Beck,

      Hallo Micha,

      freut mich, wenn es Dir gefallen hat.
      Zum Thema Testing und Kosten: Wie hoch sind denn die Kosten, wenn der Relaunch nicht klappt? Wie viel wäre die Absicherung da wert gewesen 😉 ?

      Beste Grüße,
      Gabriel

  2. Gravatar

    Flo,

    Das Problem bleibt, wenn der Traffic nicht ausreichend ist, A/B-Tests zu fahren, weil diese mehrere Monate dauern würden, um die benötigte Anzahl an Conversions zu generieren (gibt es ja in bestimmten Branchen und bei kleinen Händlern). Trotzdem den Relaunch im Vorfeld in ‘Teile’ aufsplitten und mit einzelnen Probanden oder ner gekauften Crowd A/B-Tests simulieren oder doch lieber den Relaunch komplett fertig machen und ihn über einen längeren Zeitraum als kompletten A/B-Test gegen die aktuelle Webseite laufen lassen? Was wäre denn da aus Erfahrung die bessere Variante?

  3. Gravatar

    Allia,

    Hi,

    und wie wird bei einem CMS Wechsel (s. Einstieg des Artikel) getestet? Die gesamte alte Site erstmal zu entwickeln ist nun wirklich unnötige Zusatzkosten.

    best,
    Allia

  4. Gravatar

    Grillreiniger,

    Also bei mir steht aktuell kein Relaunch an und ich wüsste damit im Augenblik auch nicht umzugehen. Habe mir bisher immer von Freunden bei soetwas helfen lassen. Jedoch bon ich sehr interessiert an der Technik, die dahinter steckt und verscuhe mir nun auch etwas eigenes Wissen an zu eignen. Für mich sind die Hintergründe derzeit noch ein Buch mit sieben Siegeln. Aber genau deswegen freue ich mich so sehr über diesen Artikel. Nun habe ich schon eine gewisse Grundlage, was die Hintergründe angeht.

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