Das 92:1 Dilemma als Gefahr für dein Online-Marketing-Budget
Das Jahr neigt sich allmählich dem Ende. Das letzte Quartal ist schon im vollen Gange und auch das Wetter stellt sich langsam auf Winter ein. Doch in den Büros vieler deutscher Unternehmen macht sich noch keine Entspannung zum Jahresende breit. Von vorweihnachtlicher Besinnlichkeit gibt es Ende Oktober auch noch nichts zu sehen, denn gerade jetzt ist man mit den Vorbereitungen für das wichtige Weihnachtsgeschäft aber auch schon mit den Planungen für das kommende Jahr beschäftigt.
Marketing Budgets werden verplant, Diskussionen geführt wo man das Geld am besten einsetzt, Alternativen abgewogen und Entscheidungen getroffen. Doch die Entscheidungen lassen häufig einen wichtigen Punkt außer acht: Die eigene Webseite. Im Folgenden werden deswegen 7 Effekte einer verbesserten User Experience auf wirtschaftliche Kennzahlen im Online Marketing vorgestellt.
Das 92:1 Dilemma
Haben Sie schon einmal vom 92:1 Verhältnis gehört? Es beschreibt das Verhältnis der Kosten für die Akquise von Traffic gegenüber den Kosten für eine Konvertierung des Traffics auf der eigenen Seite (Quelle TeaLeaf).
92:1 bedeutet, dass bei einem Online Marketing Budget von 1 Mio Euro gerade mal 10.869,57€ für Maßnahmen zur Optimierung der Konvertierung (Wandlung) ausgegeben werden.
Die Frage ist nur: Was kann man mit 10.869,57€ erreichen…. langfristig? Auch wenn wir keinen genauen Wert kennen, wissen wir dennoch, dass Amazon als Beispiel 1.967 Tests pro Jahr durchführt (Quelle: Zitat von Bryan Eisenberg auf dem ConversionSUMMIT 2014)! Das macht ca. 160 Tests im Monat. Auch wenn Amazon nicht immer die Messlatte ist und wir keine Budgets kennen, zeigt es doch recht eindrucksvoll, dass dies nicht mit einem Verhältnis von 92:1 erreichbar ist.
Traffic ist nur eine Seite der Medaille – die Webseite die andere
Traffic ist wichtig. Reichweite ist wichtig. Bekanntheit ist wichtig. Aber was, wenn das Nutzungserlebnis schlecht ist? Was ist, wenn Ihre Nutzer wie ein Ball von der Webseite oder den Landing Pages abprallen? Was ist, wenn enttäuschte Nutzer direkt in die Arme des Wettbewerbs getrieben werden und womöglich ihren Freunden davon erzählen? Da nützen ausgeklügelte Retargeting-Kampagnen, professionelle Bidding-Strategien und die granularsten SEA-Kampagnen nichts: Wer weg ist, ist weg!
Wer sich einen typischen Sales Funnel vor Augen führt, muss dabei zusehen, wie Kontakte, die man teuer eingekauft hat, doch nicht am Ende des Trichters ankommen, da sie die Seite vorher verlassen. Im extremsten Fall ist die Webseite eine „Kauf-Verhinderungs-Maschinerie“ und die Nutzer, die man eingekauft hat, hätte man besser am Telefon zu glücklichen Kunden gemacht. Die folgenden Zahlen sollen verdeutlichen, wie viel Geld Unternehmen mit schlechter User Experience auf der Straße lassen.
Die Folgen des 92:1 Dilemmas
Econsultancy hat eine Studie durchgeführt, um herauszufinden, wie viel Umsatz den Unternehmen durch die Lappen geht, weil die User Experience der eigenen Seite schlecht ist (Link zum PDF von econsultancy)
Das Ergebnis:
Bryan Eisenberg hatte dazu bereits im November 2011 geschrieben (Quelle: bryaneisenberg.com):
„We spend all that money on raising awareness of our product offering, differentiating ourselves from competitors and carefully adapting our website design to ensure easy navigation, and then we virtually ignore customers once they land on our website. We leave them to complete the most important part of the journey alone. What could possibly go wrong!“
7 Wirtschaftliche Effekte der Optimierung
Das 92:1 Verhältnis ist definitiv ein Wachstumskiller und 24% mehr Umsatz hätte jeder gerne! Wo kommen die also her? Wie können Optimierungsmaßnahmen auf der eigenen Seite 24% mehr Umsatz realisieren?
Die nachfolgende Tabelle soll die Effekte von Optimierungsmaßnahmen (durchgeführt und gestützt mit Testing Methoden) auf die Wirtschaftlichkeit von SEA-Kampagnen oder allgemein Online Marketing Maßnahmen und vor allem den Umsatz verdeutlichen. Die Hebelwirkung der Conversion Optimierungsmaßnahmen greift allerdings für alle Traffic- Kanäle. Ein paar Zahlen dazu habe ich schon mal in einem anderen Blog Artikel aufgeführt (Link).
Rahmenbedingungen
Die Werte sind rein fiktiv aber dennoch in realistischen Größenordnungen. Die Steigerungsraten der einzelnen Conversion Rates (Wandlungsraten) basieren auf unseren Erfahrungen aus vielen Conversion Projekten. Der Einfachheit halber wurden die Kennzahlen in der Ausgangsbasis für zwei Unternehmen identisch gewählt, um Unterschiede erkennbar zu machen. Des weiteren wird von einem Online Shop ausgegangen. Eine Berechnung der Effekte auf Webseiten, die Anfragen generieren, kann aber analog vorgenommen werden.
Wir gehen von einer Welt mit zwei Wettbewerbern aus, die um die ersten Plätze in der Suchmaschine wetteifern.
Die bezifferten Effekte (grüne Ziffern (0) – (5)) werden im einzelnen nachfolgend erläutert:
#1 >> Effekte auf Nutzungserlebnis und Zielerreichung
Gerade Optimierungsmaßnahmen auf Landing Pages wirken sich in der Regel positiv auf die Bounce Rate (1) Absprungrate aus. Egal, ob sich die Nutzer am Anfang ihres Entscheidungsprozesses befinden, oder schon interessiert sind, sie wollen relevante Informationen und das Gefühl vermittelt bekommen: „Hier bin ich richtig, die haben, was ich will“ (s. Faktor Relevanz im 7-Ebenen Modell).
Optimierte Landing Pages wirken sich darüber hinaus nicht nur auf die Bounce Rate (1) aus, sondern auch auf den Ad Rank (Anzeigenrang) und den Quality Score (Qualitätsfaktor) einer Google Adwords Kampagne (Quelle: Google). Zwischen dem Anzeigenrang und den Klickraten CTR (0) der Anzeigen gibt es einen Zusammenhang (Wer sich noch weiter in die Materie einlesen will, findet ein paar Zahlen zu Anzeigenposition CTR und Conversion Rate bei Olaf Kopp im SEM Deutschland Blog).
Das bedeutet im Klartext: Bessere Position und damit auch eine bessere (0) Klickrate (CTR). Wenn ein Wettbewerber mit optimierten Landing Pages eine bessere (0) CTR erreicht, dann verschlechtert sich die Position (AdRank) eines anderen Wettbewerbers und damit auch dessen (0) CTR. In der Tabelle steigt die Klickrate (0) der eigenen Seite um beispielsweise 1% auf 11% (pessimistische Schätzung, aber reicht für den Effekt). Die des Wettbewerber sinkt, da die Anzeige nun weiter unten rankt und damit auch weniger geklickt wird.
Allein die Optimierungsmaßnahmen auf Landing Pages wirken sich direkt auf die Anzahl der Besucher aus, die tatsächlich im Shop ankommen und weiter durchklicken.
#2 >> Positive Effekte auf die Conversion Rate
Optimierungsmaßnahmen an weiteren Stellen des Shops wirken sich mittels A/B Testing nachweislich auf weitere Micro Conversions auf der Seite CR XY (2) und auch die AddToCart Rate (3) aus. Verbesserte Kategorielisten, bessere Nutzenargumentation, Abgrenzung zum Wettbewerb, etc. bringen mehr Besucher bis zum Warenkorb. Optimierungen im Checkout-Prozess wandeln schließlich mehr Besucher in Kunden.
Im Beispiel steigt die eigene Micro Conversion Rate (2) auf 45% und die AddToCart Rate (3) auf 12%. Diese Steigerungen sind recht moderat und auf Basis unserer Erfahrungen sehr realistisch.
In der Summe kann die Sales Conversion Rate (4) von 3,30% auf 3,96% gesteigert werden. Das bedeutet eine relative Steigerung von 20% – ein nicht utopischer Wert!
#3 >> Positive Effekte auf Umsatz, Absatz, Anfragen, etc.
Die vorangestellten Optimierungen wirken sich direkt auf den Umsatz (vor Retouren) aus. Im Beispiel ergibt sich ein Umsatzplus von +40%, wohingegen beim Wettbewerb aufgrund der zurückgegangenen Besucherzahlen auch der Umsatz um -10% zurückgeht.
Mit Hilfe von tiefergehenden Nutzer-Analysen kann man darüber hinaus herausfinden, warum Nutzer retournieren und auch diese Rate optimieren. Und wer hier noch nicht genug hat, kann in Kundenbindung (Loyalität) investieren, um treue Bestandskunden nicht immer wieder über die SEA-Kampagnen einkaufen zu müssen, sondern über die eigenen Kanäle zu erreichen.
#4 >> Positive Auswirkung auf den ROI der Marketing Maßnahmen
Durch mehr Sales bei gleichem SEA Budget kann der CPO gesenkt und damit die Kosten-Umsatz-Relation (5) positiv beeinflusst werden. Die KUR sinkt um 21,50% (genau so wie der CPO). Das heißt im Klartext: Effizientere Kampagnen!
#5 >> Mehr Budget für neue Maßnahmen
Da die Kampagne mehr Sales abwirft und damit effizienter läuft, kann man neue Keywords recherchieren und buchen. Damit wird die Reichweite in der Suchmaschine gesteigert, solange die KUR oder der CPO noch im definierten Rahmen bleiben. Es sehen mehr Nutzer die neuen Kampagnen und ein Teil von ihnen klickt.
Es kann ebenso mehr Geld in die Prozesse, Lager, etc. investiert werden, um noch schneller und effizienter zu sein, den Service zu verbessern und damit Alleinstellungsmerkmale herauszukristallisieren.
#6 >> Mehr Neukunden
Mehr Reichweite bedeutet wiederum mehr Besucher im eigenen Shop und unter der Annahme, dass man die richtigen Besucher in den Shop leitet auch mehr Kunden.
#7 >> Höherer Marktanteil und damit ein Platz im Relevant Set der Nutzer
In der finalen Konsequenz verdrängt man somit seine Wettbewerber und stärkt die eigene Position im Markt. Das Beratungsunternehmen McKinsey hat in diesem Zusammenhang untersucht, wie viele Marken Konsumenten zu Beginn einer Kaufentscheidung in Betracht ziehen. Weiterhin wurde untersucht, wie viele Marken während der Recherche noch zusätzlich hinzukommen (Link zur Studie von McKinsey).
Man sieht, dass im Bereich von Telekommunikationsanbietern mit einem durchschnittlichen „consideration set“ von 1,5 Anbietern die Recherche beginnt. Hinzukommen nochmal durchschnittlich 0,9 Anbieter. Das heißt im Entscheidungsprozess erfährt der Konsument 2-3 Nutzungserlebnisse auf den Webseiten unterschiedlicher Marken. Wenn nun ein Anbieter kein zufriedenstellendes Nutzungs- und Markenerlebnis bietet, so treibt er den potenziellen Kunden direkt in die Arme des Wettbewerbs. Für künftige Kauf-Erwägungen setzt sich die Marke mit dem besten Erlebnis im Bewusstsein („Relevant Set“) des Konsumenten fest.
Fazit – Effizienter investieren, Potenziale richtig ausschöpfen!
Wer also für 2015 Budgets verteilt, sollte sich die vorliegenden Effekte von Optimierungsmaßnahmen nochmal durch den Kopf gehen lassen. Reichweite und Traffic sind definitiv wichtig für den Erfolg einer Seite und daher wichtig in der Budgetierung. Es braucht allerdings Maßnahmen, die das Budget noch effizienter machen. Es braucht Maßnahmen, die auf die zweite Seite der Medaille abzielen. Nutzungs- und Markenerlebnis wirken sich in barer Münze auf den Erfolg einer Seite aus. Die Daten der Tabelle haben gezeigt, wie sich der Hebel von Optimierungsmaßnahmen in 40% Umsatz-Uplift niederschlägt.
Worin würden Sie investieren, wenn Sie noch effizientere/ erfolgreichere Kampagnen hätten? In Reichweite – neue Kampagnen oder in Prozesse, Logistik, User Experience, Sortiment, etc.?
Werfen Sie mal einen Blick in den Quelltext ihrer Wettbewerber und suchen Sie nach Testingtools. Man glaubt nicht, wie viele Unternehmen schon mitten im Testing-Fieber stecken und die Effizienz Ihrer Online Marketing Maßnahmen damit optimieren! Der Wettbewerb schläft nicht!
9 Kommentare
Thorsten Wilhelm,
Ich glaub, was wir machen sollten:
Jeden Monat einen Lehrauftrag. Dort dann dieses “Grundlagen des Erfolgs im E-Commerce” lehren. Dann 5 Jahre auswandern, wiederkommen, und richtig “geile” UX und CRO Beratung und Forschung mit “unseren Studenten/-innen” machen, die das dann alle verstanden haben, wie es geht Erfolg im E-Commerce zu erzielen.
Wollen wir 😉 ?
Gabriel Beck,
Alles klar, Thorsten – ich packe schon mal die Koffer 😉
Axel Schröder,
Hallo Herr Beck,
danke für den klasse Beitrag!
Alles dort ist wieder alles stimmig und richtig dargestellt, aber man darf auch nicht aus den Augen lassen, daß gerade die Kleinen Mitspieler im Online-Markt große Probleme haben, überhaupt die Chance einer vernünftigen Optimierung zu bekommen.
Für gute Aussagen braucht man rund 1000 Conversions. Wer von den Kleinen Shop-Betreibern hat die denn? Vermutlich deshalb stecken alle ihre Energie und ihre Ressourcen zuerstmal in den Aufbau von Traffic.
Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn es von Euch so eine Art Roadmap gäbe, was man tun muß, um von einem kleinen Anbieter mit vielleicht 10 Conversions/Woche in die Nähe dessen zu kommen, wo Optimierung richtig Sinn (statistisch und ökonomisch) macht.
Vielleicht auch eine Marktübersicht, welche seriösen Anbieter es z.B. im Bereich des Paid-Traffic via Adwords / Display es gibt, um Schritt für Schritt (nämlich im Bereich des finanziell darstellbaren) zu den Traffic-Größen zu kommen, die dann mehrere hundert Conversions auslösen. Und unseriöse Pfuscher gibt es dort leider viel zu viele.
Ich denke, es gibt viele, die mit anfangs kleinen Budgets (drei- oder niedrig vierstellig) anfangen würden, aber keiner kann von Anfang an fünfstellige Beträge/Monat in Ads stecken.
Mit bestem Gruß,
Axel Schröder
Gabriel Beck,
Hallo Herr Schröder,
danke für das Feedback! Ich nehme das gerne an und überlege mir, wie man das Thema für kleinere Shop-Betreiber angehen kann. Da gibt es tatsächlich viele Möglichkeiten.
Viele Grüße,
Gabriel Beck
Axel Schröder,
Hallo Herr Beck,
vielen Dank, daß Sie das Thema aufgreifen wollen und freue mich über Ihre Ideen und Vorschläge.
Wir können gerne bei der Entwicklung ein bisschen eMail-Ping-Pong spielen und biete Ihnen daher gerne meine Mithilfe zum Thema an. Sozusagen aus der Sicht eines “Kleinen”.
Mit bestem Gruß,
Axel Schröder
Stephan,
“Das macht ca. 160 Tests im Monat”
Ok, es sollte jedoch klar sein, dass Amazon ganz andere Trafficzahlen hat. Es gibt Shops, die ein Jahr brauchen, um die gleichen Daten gesammelt zu haben, die Amazon an einem Tag hat!
Gabriel Beck,
Hallo Stephan,
es ging mir nicht darum über den Traffic von amazon zu schreiben. Es ging mir darum, die Schräglage zwischen Traffic und Optimierung klar zu machen. Und selbst bei 1.000€ Online Budget im Monat, hat man dennoch die “Kraft” ein Testingtool zu implementieren und nur eine Idee zu testen. Das ist immer noch besser als keine, oder 😉
Uwe,
Hallo Gabriel,
gibt es schon Veröffentlichungen bezüglich dieser Thematik für kleinere Shops?
Gabriel Beck,
Hallo Uwe,
wir arbeiten daran. Wir wollen das Thema Statistik beim Testing mit kleineren “Traffic-Mengen” nicht vernachlässigen, daher ist das nicht so trivial.
Wir bringen dazu einen Artikel raus, wenn wir etwas Fundiertes haben.