Eyetracking Armageddon – wie falsche Analysen ihre Conversion Rate verhageln
Der Ersteindruck bildet in der Customer Journey ein wichtiges und ausschlaggebendes Fundament für weitere Aktionen. Neben den wichtigen Fragen “Wer bist du?” und “Was bekomme ich bei dir?” wird in den ersten Sekunden die emotionale Grundlage für den weiteren Verlauf des Besuchs gelegt.
Aus der Hirnforschung ist bekannt, dass innerhalb der ersten 50 Millisekunden ein grundlegender positiver, bzw. negativer Eindruck entsteht. Unser Verstand weiß bereits nach 500 Millisekunden wem er Vertrauen schenkt und wo er eher vorsichtig weiter agieren wird.
Bei oft mehr als 80% Bouncerate auf Erstkontaktseiten wird schnell klar, dass der Ersteindruck näher untersucht werden muss um nicht unnötig Geld zu verbrennen.
Ein guter Weg den Ersteindruck zu analysieren ist der Einsatz von Eyetracking.
Doch Vorsicht: Eyetracking ist nicht gleich Eyetracking.
Je nach Aufgabenstellung können die Ergebnisse stark variieren. Ich möchte Ihnen anhand von zwei Beispielen zeigen wie stark die Aufgabe Einfluss auf das Ergebnis hat um Sie so davor zu bewahren die falschen Schlüsse aus unsauberen Eyetracking-Analysen zu ziehen.
Die Eyetracking-Testkandidaten
Auf der Suche nach geeigneten Testkandidaten habe ich mir heute den Bereich Notebooks ausgesucht. Eine Suche in Google hat schnell die beiden Testkandidaten Cyberport und Notebooksbilliger ausgespuckt.
Startseite Cyberport
Im Kopfbereich der Seite steht das Logo und die Navigationsleiste. In der linken Spalte ist der Service-Bereich und die Trust-Elemente integriert. Der Content-Bereich beginnt mit einem Primär-Teaser, gefolgt von Hersteller-Logos und einigen Produkten aus unterschiedlichen Kategorien. Den Abschluss der Seite bildet der Footer.
Startseite Notebooksbilliger
Im Kopfbereich der Seite findet man das Logo, die Suche, die Social-Links und Appstore Links. Die linke Spalte beinhaltet die Navigation. Der Contentbereich beginnt mit einem Teaser, sechs Produkten aus drei Kategorien und einem Link zur Dealmachine. Auf der rechten Seite sind die Top 5 Handys integriert.
Der Eyetracking-Testaufbau
Der Test wurde mit einem kleinen Panel von 20 Personen durchgeführt. Es waren 8 weibliche und 12 männliche Probanden im Alter von 22 bis 43 Jahre mit durchschnittlich bis hoher Internetaffinität. Alle Probanden sahen die Screenshots der Startseite für 5 Sekunden in zufälliger Reihenfolge.
Als Basis-Briefing erhielten sie die Information, dass sie im Test zwei unterschiedliche Shop-Anbieter sehen werden.
Aufgeteilt in zwei Nutzergruppen (n=10) erhielten sie eine der folgenden Aufgaben:
- Wer ist der Anbieter?
- Was verkauft der Anbieter?
Die Hypothese der Untersuchung ist, dass die Wahrnehmung der Probanden je nach Briefing deutlich abweichende Heatmaps produziert.
Ergebnisse Cyberport
Schauen wir uns die Eyetracking Ergebnisse der Cyberport Startseite einmal genauer an:
Eyetracking Heatmap: Cyberport – “Wer ist der Anbieter?”
Wir sehen deutlich den stärksten Fokus auf dem Logo oben links, gefolgt von den fast gleichwertigen Fokusbereichen der Headline und des Testsiegels im Primär-Teaser. Die anderen Bereiche werden nur marginal angesehen.
Eyetracking Heatmap: Cyberport – “Was verkauft der Anbieter?”
In dieser Heatmap sehen wir deutlich, wie sich der Fokus verschoben hat. Die stärksten Fokus-Bereiche liegen jetzt auf der Headline des Primär-Teasers und auf dem ersten Produkt unten links. Erst dann folgen fast gleichwertig das Logo, der Service-Bereich auf der linken Seite, das Testsiegel im Primär-Teaser und das 3. Produkt in der Produktleiste.
Vergleich Cyberport Area-of-Interests
Einen wirklichen Vergleich kann man mit den reinen Heatmaps jedoch nicht machen. Hierzu muss man sich die detaillierten Daten des Eyetracking-Systems einmal genauer ansehen.
Hierzu habe ich die Cyberport Seite in folgende Area-of-Interests aufgeteilt:
Als Auszug aus den wirklich detailreichen Daten habe ich mich für die zwei folgenden Daten entschieden:
1. Elementwahrnehmung
Die Elementwahrnehmung gibt an, wie viele der Probanden das Element in den fünf Sekunden überhaupt fixiert haben.
2. Time to First Fixation
Die Time to First Fixation gibt an, wie schnell ein Element fixiert wird. Über diese Zahl lassen sich Rückschlüsse auf Reihenfolge der Elementwahrnehmung und die grafische Relevanz der Elemente ziehen.
Cyberport Elementwahrnehmung
Bereits hier sieht man deutlich, wie stark sich die beiden Aufgabenstellungen unterscheiden. Besonders stark ist der Unterschied in den Bereichen Hersteller-Logos (Logos), Service, Logo und Siegel.
Cyberport Time to First Fixation
Auch diese Daten weisen deutlich abweichende Werte auf. Spannend ist beispielsweise, dass das Absenderlogo trotz erwartungskonformer Platzierung bei der Fragestellung was der Anbieter verkauft rund 1,5 Sekunden später wahrgenommen wird, als bei der Frage nach dem Anbieter.
Ein weiterer interessanter Punkt ist, dass die Herstellerlogos (Logos) bei der Produktsuche nahezu sofort (0,11 Sekunden) und bei der Absendersuche erst nach rund 1,6 Sekunden wahrgenommen werden.
Die interessanteste Abweichung findet sich jedoch bei der Navigation. Diese wird bei der Suche nach Produkten rund 3,6 Sekunden später wahrgenommen, als bei der Absendersuche.
Hinweis: die beiden 5 Sekunden Ausschläge bei Footer und Siegel bedeuten, dass der Nutzer diese in den 5 Sekunden gar nicht wahrgenommen hat.
Ergebnisse Notebooksbilliger
Schauen wir uns die Eyetracking Ergebnisse der Notebooksbilliger Startseite einmal genauer an:
Eyetracking Heatmap: Notebooksbilliger – “Wer ist der Anbieter?”
Das Logo bildet den stärksten der drei primären Fokusbereiche, dicht gefolgt von der Festplatte in der Mitte des Produktbereichs. Ein weiterer Fokusbereich liegt auf den Social-Buttons im Kopf der Seite.
Die restlichen Fokusbereiche sind sehr stark fragmentiert.
Eyetracking Heatmap: Notebooksbilliger – “Was verkauft der Anbieter?”
Auch hier sieht man bereits in der Heatmap eine deutliche Verschiebung der Wahrnehmungsbereiche.
Der Primär-Fokus liegt hier auf dem Notebook links oben im Produktbereich. Weiterhin sieht man, dass das Logo deutlich an Gewicht verliert und viele Produktbilder fokussiert werden.
Vergleich Notebooksbilliger Area-of-Interests
Die Seite von Notebookbilliger haben wir in die folgenden AOIs aufgeteilt:
Notebooksbilliger Elementwahrnehmung
Bereits die Elementwahrnehmung verdeutlicht die Verschiebung der Wahrnehmungsbereiche der Heatmaps eindrucksvoll.
Der größte Unterschied ist im Bereich der Navigation zu finden. Nur 20% der Probanden nehmen die Navigation bei der Frage nach dem Anbieter überhaupt wahr. Bei der Frage nach dem Angebot sind es 60%. Die Handy-Promos auf der rechten Seite werden 30% (Anbieter) bzw. 50% (Angebot) wahrgenommen.
Besonders interessant finde ich, dass der Teaser von 100% der Anbietersuchenden jedoch nur von 70% der Angebotssuchenden wahrgenommen wird.
Notebooksbilliger Time to First Fixation
Die größte Abweichung wird im Bereich der Dealmachine erreicht. In der Variante Angebotssuche dauert es rund 3,2 Sekunden länger bis das Element das erste Mal fixiert wird.
Weitere große Schwankungen ergeben sich im Bereich des Logos (Anbietersuche 1,3 Sekunden schneller) und der Teaser (Anbietersuche 1,7 Sekunden schneller).
Besonders interessant finde ich, dass die Navigation bei der Angebotssuche rund 1,8 Sekunden später fokussiert wird.
Fazit der Analyse
Die Hypothese hat sich bestätigt. Durch die Aufgabenstellung lässt sich das Ergebnis einer Eyetracking-Analyse stark beeinflussen.
Macht Eyetracking überhaupt Sinn?
Natürlich – Eyetracking ist nach wie vor eine sehr gute und effiziente Möglichkeit den Ersteindruck einer Seite ursächlich zu analysieren um somit den Grundstein für eine positive User Experience zu setzen.
Bei den Untersuchungen ist jedoch darauf zu achten, die Aufgabenstellung präzise auf das gewünschte Ziel auszurichten.
Doch welches Ziel ist das richtige?
Diese Frage lässt sich leider nicht pauschal beantworten. Potentielle Probleme im Erstkontakt lassen sich sehr gut qualitativ mit Probanden Tests herausarbeiten. Hierbei sollte der Fokus auf den Bedürfnissen und Erwartungen der Nutzer und nicht der Usability liegen. Diese spielt für den Ersteindruck eine deutlich untergeordnete Rolle.
Ich wünsche viel Spaß beim Optimieren und freue mich auf Ihre Kommentare!
Bonus-Tipp: Vorsicht bei Eyetracking- und Aufmerksamkeits-Simulationen
Immer häufiger begegnen mir Eyetracking Simulation von Tools, die angeblich eine hohe Übereinstimmung mit echtem Eyetracking haben sollen. Mit Hilfe dieser Tools sollen die aufwändigeren Eyetrackings fast überflüssig werden, denn diese Tools produzieren Heatmaps, Gaze-Plots, Perception Maps und vieles mehr. So zumindest die überschwänglichen Marketing-Texte dieser Tools.
Zum Spaß habe ich die unsere beiden Testkandidaten einem solchen Tool hochgeladen und auswerten lassen:
Vergleich simuliertes Eyetracking vs. echtes Eyetracking Cyberport
Simuliertes Eyetracking / Attention Analyse:
Zum Vergleich hier einmal die kombinierte Heatmap aller 20 Probanden:
Besonders starke Abweichungen sind hier die beiden ersten Hotspots Hersteller-Logos in der Mitte und die Trust-Siegel links unten. Die beide im realen Eyetracking keine primären Fokus-Bereiche sind. Die Siegel werden sogar nur von 10% der Nutzer überhaupt fixiert.
Vergleich simuliertes Eyetracking vs. echtes Eyetracking Notebooksbilliger
Simuliertes Eyetracking / Attention Analyse:
Auch hier der Vergleich zur kombinierten Heatmap aller Probanden:
Auch hier erkennt man klar einen Unterschied zwischen Realität und Simulation.
Ich denke beide Vergleiche zeigen deutlich, was man von solchen Tools erwarten kann und was nicht.
4 Kommentare
Arne Rosemeyer,
Vielen Dank für die spannenden Analysen, die zum Nachdenken anregt!
Wie bei jedem Experiment war es naheliegend, dass die Fragestellung auch das Ergebnis beeinflusst. Ich hätte aber nicht gedacht, dass sich dies bei den verschiedenen Seiten-Elementen in so großen Unterschieden zeigt. Das ganze Experiment ist ein gutes Argument dafür verschiedenen Zielgruppen auch unterschiedliche Landingpages zu zeigen.
Lelala,
Wow, vielen Dank für den aufschlussreichen und umfangreichen Beitrag (v.a. dass ihr die Daten von euren Kunden öffentlich stellen durftet! 🙂 das Beispiel sollte Schule machen… )
André Morys,
Hallo lelala, gerne – allerdings machen wir die Studien auf eigene Kosten, das sind keine Kundenprojekte.
Sascha,
Sehr guter Artikel, vielen Dank.
Danke auch für den Vergleich zu der Eytracking-Simulation. Die Ergebnisse weichen ja teilweise deutlich von einander ab.
Meine Frage: Das Fazit ist aber nicht, dass diese Eytracking-Simulationen sinnlos sind, oder? Einen Mehrwert kann man aus den Ergebnissen schon ziehen.
MFG
Sascha