Zero-Risk Bias: Das Risiko minimieren, um Kunden zu motivieren
Sommer, Sonne, Ferien. Du stehst nach dem Flug in Palma am Mietwagenschalter des Flughafens und willst eigentlich nur schnell deinen online gebuchten Wagen abholen. Doch dann bekommst du plötzlich die Info, dass dein gebuchter Versicherungsschutz nicht alle Risiken abdeckt! Für einen kleinen Aufpreis könntest du das “Rundum-Sorglos-Paket” dazubuchen. Alle möglichen Eventualitäten werden abgesichert, ganz ohne Selbstbeteiligung! Was tust du? Unterliegst du möglicherweise dem Zero-Risk Bias?
Was das Ganze mit WC-Reinigern zu tun hat und wie du deine Kunden motivieren kannst, indem du ihnen ihre Sorgen nimmst, zeigen wir dir in unserem neuen überzeugungsKRAFT Video.
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Zu Risiken und Nebenwirkungen lies dir den Blogpost oder schau dir das Video an!
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Menschen neigen dazu, Risiken zu vermeiden. Besonders spannend ist in diesem Zusammenhang die Null-Risiko-Verzerrung – auch als “Zero-Risk Bias” bekannt: Zero-Risk Bias bedeutet, dass lieber ein sehr geringes Risiko komplett eliminiert wird, als dass ein deutlich größeres Risiko risikoärmer gemacht wird.
Zero-Risk Bias: Mietwagen lieber mit oder doch ohne Versicherungsschutz?
In der Mietwagensituation unterliegen wir genau diesem Denkmuster. Würde man die Wahrscheinlichkeit für einen Unfall und die daraus entstehenden Kosten ganz objektiv gegen die Versicherungsgebühren aufrechnen, käme man vermutlich zu der Erkenntnis, dass sich diese Rundum-Absicherung nicht lohnt. Man würde das geringe Restrisiko akzeptieren und das Geld sparen. Aber unser Gehirn möchte gern jegliches Risiko so weit wie möglich eliminieren, am liebsten zu 100 Prozent. Woran liegt das? Ganz einfach: Das jeweilige Thema kann gedanklich “abgehakt” werden und man muss sich damit nicht mehr beschäftigen. Das wiederum spart Energie, motiviert und setzt kognitive Ressourcen frei, die anderweitig genutzt werden können.
Was die Null-Risiko-Verzerrung mit WC-Reiniger zu tun hat
Dieses Phänomen wurde in vielen psychologischen Experimenten nachgewiesen, zum Beispiel von Kip Viscusi und seinen Kollegen der Northwestern University in Greensboro1, North Carolina. Hier wurden Passanten angesprochen, die gerade aus einem Baumarkt kamen. Sie wurden gefragt, ob sie hin und wieder WC-Reiniger kauften. Dann wurde ihnen ein solches Produkt gezeigt, und zwar bei gleichzeitiger Nennung der gesundheitlichen Risiken, die von dem Reiniger ausgingen: 15 von 1.000 Verbrauchern vergifteten sich demnach an den Gasen, weitere 15 von 1.000 zögen sich Augenverletzungen zu.
Im nächsten Schritt wurden die Passanten gebeten, anzugeben, wie viel mehr Geld sie für einen Reiniger ausgeben würden, der sicherer sei.
Nullrisiko-Verzerrung: So sah das Ergebnis der Befragung aus
- Um das Verletzungsrisiko auf jeweils 10 von 1.000 Verbrauchern zu reduzieren, also um fünf Promille, wollten die Kunden 65 Cent mehr bezahlen.
- Für die nächsten fünf Promille geringeren Risikos würden die Kunden 19 Cent mehr ausgeben.
- Die letzten fünf Promille, mit denen das Risiko ganz verschwindet, waren den Verbrauchern noch einmal 83 Cent wert.
Ableitung und Bedeutung des Zero-Risk Bias
Der “Zero-Risk Bias” sagt aus, dass wir lieber ein bereits sehr geringes Risiko komplett eliminieren, als ein größeres Risiko deutlich risikoärmer zu machen. Dieses Phänomen im menschlichen Verhalten wird auch “Null-Risiko-Neigung” genannt. Daraus lässt sich Folgendes ableiten:
Wahrgenommene Risikolosigkeit:
- …unterstützt das gedankliche Abhaken einer Sache. Man muss sich nicht weiter damit beschäftigen, und kann die Ressourcen anderweitig verwenden. Das ist ein ähnlicher Effekt wie bei dem Behavior Pattern “Completion”, was wir dir bereits vorgestellt haben (siehe…). Dabei erzeugt das Unterbrechen einer Aufgabe Stress, weil wir sie auch nicht gedanklich abhaken können. Erst das Abschließen oder Vervollständigen der Aufgabe lässt eine Entspannung zu.
- …gibt Sicherheit und motiviert dadurch zu weiteren Handlungen. Wenn wir uns unsicher fühlen, sind wir gestresst und äußerst aufmerksam. Wir verbrauchen Ressourcen, um mögliche Gefahren zu erkennen und abzuwenden. Wenn wir uns sicher fühlen, haben wir mehr Kapazitäten frei. Das wiederum ermöglicht es uns, Neues auszuprobieren.
Umgang mit der Null-Risiko-Neigung im E-Commerce
Doch wie kann dieses Prinzip im E-Commerce sinnvoll angewendet werden?
Streng genommen gibt es im Leben so gut wie nie null Risiko, so auch online nicht; daher wird auch von der “Null-Risiko-Illusion” gesprochen. Nichtsdestotrotz lässt sich festhalten:
Das Ziel sollte es sein, das vom Kunden wahrgenommene Risiko zumindest zu minimieren.
Der erste Schritt dabei ist entscheidend: Es muss zunächst identifiziert werden, welche potenziellen Risiken für die Nutzer und Kunden existieren.
Gehen wir in den klassischen Onlineshop: Natürlich gibt es für Kunden offensichtliche Probleme bzw. Risiken, die beim Online-Kauf auftreten können, zum Beispiel Schwierigkeiten mit der Zahlung oder dem Versand; das Produkt sieht anders aus als auf dem Bild und gefällt nicht, es passt nicht, oder es geht direkt kaputt.
Aber was ist mit tiefergehenden Aspekten wie der Angst vor ungesunden Produkten, die mir, meinem Kind oder meinem Haustier schaden könnten?
Für die meisten dieser wahrgenommenen Risiken gibt es Möglichkeiten, sie auszuräumen oder zumindest zu minimieren.
E-Commerce: Zero-Risk Bias in der Praxis
1. Risiken von Fehlbestellungen minimieren
Es gibt zwei Möglichkeiten, hier ein geringes Risiko zu kommunizieren: zum einen durch ein möglichst risikofreies Rückgabesystem. So kommuniziert der Stilberater und Mode-Shop Modomoto risikofreies Bestellen, bequemes Anprobieren zu Hause und eine kostenlose Retoure sehr klar:
Auch die Option, Artikel länger als gesetzlich vorgeschrieben zurückschicken zu können, lässt das Risiko einer Fehlbestellung weniger negativ erscheinen.
Verlängerte Rückgabefristen können auch als Aktion oder saisonal angeboten werden, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen, und zwar am besten direkt mit der Information, dass das Paket rechtzeitig zum gewünschten Liefertermin ankommen wird. Damit wird gleich ein weiteres Risiko minimiert, wie hier zum Beispiel als Aktion von CECIL zu Weihnachten:
Zum anderen kann man versuchen, die Wahrscheinlichkeit zu senken, dass Kunden ungewollt Artikel retournieren müssen. Das liegt natürlich auch im Interesse eines Online-Händlers. Eine Studie der Friedrich-Schiller-Universität Jena ergab, dass kundenorientierte Maßnahmen die Retourenquote stärker senken als beispielsweise rein monetäre Maßnahmen wie Käuferschutz oder Gutscheine².
Hier geht es also darum, das Risiko einer Fehlbestellung zu minimieren, und gleichzeitig kundenorientierter zu sein. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten:
Weiteres zum Umgang mit dem Zero-Risk Bias
Kundenbewertungen für eine weniger ausgeprägte Risikowahrnehmung
Produkte ohne Kundenrezensionen haben laut der Studie der Universität Jena eine um 20,4 Prozent höhere Retourenquote als Produkte, die mit Bewertungen versehen sind. Kunden vertrauen auf die Aussagen anderer Nutzer und empfinden daher das Risiko beim Kauf als geringer. Deswegen ist es ratsam, Kundenbewertungen prominent und nutzerfreundlich darzustellen. Je konkreter und detaillierter Bewertungen sind, desto mehr offene Nutzerfragen können sie bereits vor dem Kauf beantworten – und damit die wahrgenommenen Risiken senken. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die Kunden zu Bewertungen zu motivieren und über das “Sternevergeben” hinaus nach konkretem, qualitativem Feedback zu fragen.
Größenberater für weniger Fehlbestellungen
Ein gut bedienbarer Größenberater senkt bei Modeshops ebenfalls das Risiko einer Fehlbestellung. In diesem Beispiel von DefShop wird dies explizit kommuniziert, um dem Nutzer die Bedenken zu nehmen:
Gute Produktdarstellungen für eine bessere Entscheidung des Nutzers
Detaillierte Produktbeschreibungen und gute Bilder oder Videos, die dem Kunden eine klare Vorstellung vom Produkt ermöglichen, schaffen ebenfalls Sicherheit. Auf diese Weise kann ebenfalls das vom Nutzer empfundene Risiko für eine Fehlbestellung implizit gesenkt werden.
2. Tieferliegende Bedenken ausräumen
Tieferliegende Bedenken sind weniger offensichtliche Risiken, denen sich der Online-Käufer ausgesetzt sehen könnte. So kann ein Online-Shop zum Beispiel Risiken, die mit der Zahlung zusammenhängen, begegnen, indem schon frühzeitig risikoarme Zahlungs- und Versandoptionen in den Vordergrund gestellt werden.
Geld-zurück-Garantien sollten deutlich kommuniziert werden, am besten explizit mit einer Null-Risiko-Botschaft:
Ein weiterer Aspekt sind vom Kunden allenfalls wahrgenommene Gesundheitsrisiken. Wie aus der eingangs zitierten Studie aus North Carolina ersichtlich, sind Menschen bereit, für die Minimierung von Gesundheitsrisiken deutlich mehr Geld zu zahlen. Wenn wir davon ausgehen, dass es eine Vielzahl von Produktgruppen gibt, die potenziell Schadstoffe enthalten, bietet sich hier eine sehr breite Anwendungsmöglichkeit für den Zero-Risk Bias.
Denken wir an Kleidung, Nahrungsmittel, Babyspielzeug, Tierfutter etc.: Hier bietet es sich an, das “frei von xy” deutlich zu kommunizieren – entweder global im Shop, wenn das möglich ist, oder auch prominent und direkt am Produkt, z. B. durch einen Badge:
3. Vorhandene Risiken kommunizieren und Chancen aufzeigen
Die meisten Kunden werden sich darüber im Klaren sein, dass es einfach keine hundertprozentige Risikolosigkeit gibt. Umso sinnvoller kann es sein, Risiken klar zu benennen, aber gleichzeitig Chancen aufzuzeigen, mit denen man diesen Risiken etwas entgegenstellen kann.
In diesem Beispiel bietet ein Ticket-Shop seinen “plus-Kunden” im Krankheitsfall ein Null-Risiko an.
Garantieverlängerungen sind ebenfalls ein gutes Mittel, gegen den Risikofall eines technischen Defekts eines fast neuen Elektrogerätes möglichst lange und sorgenfrei abgesichert zu sein:
Und auch das Gegenüberstellen von Risiken und entsprechenden Maßnahmen, wie es häufig bei der Leistungsbeschreibung von Versicherungen der Fall ist, hilft dem Kunden, Risiken und Chancen abzuwägen. Dies lässt sich auch auf andere Branchen anwenden, z. B. bei Vergleichsfunktionen in Online-Shops. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Kunden sich bei der Gegenüberstellung von einem günstigeren, dafür “riskanteren” Produkt und einem risikoärmeren, teuren Produkt eher für das teure Produkt entscheiden werden:
Fazit zum Verhaltensmuster Zero-Risk Bias
Es gibt im E-Commerce viele Möglichkeiten, dem Kunden die Angst vor wahrgenommenen Risiken zu nehmen: teilweise durch die explizite Kommunikation eines Nullrisikos, teilweise durch das Minimieren vorhandener Risiken. Dabei ist es entscheidend, die eigene Zielgruppe im Blick zu haben und zu verstehen, welche Risiken von ihr wahrgenommen werden. Nur eine kundenzentrierte Sichtweise ermöglicht eine auf den Bedarf des Nutzers abgestimmte Kommunikation!
Auch für die Anwendung des Behavior Patterns “Zero-Risk Bias” gilt:
Zunächst die eigenen Kunden verstehen, sich mit dem psychologischen Denkmuster beschäftigen, passende Anwendungsmöglichkeiten suchen und dann testen, was am besten funktioniert!
Wir hoffen, dass der Zusammenhang zwischen Zero-Risk Bias, WC-Reiniger und Mietwagen klar geworden ist und du für deinen Online-Shop einige Anregungen bekommen hast, die die Risikowahrnehmung deiner Kunden minimieren und deinen Umsatz somit erhöhen!
2 Kommentare
Ralf Zmölnig,
Hallo Jenny. Als treue Leser eures Blogs freuen wir uns über die Erwähnung unseres Projektes. Allerdings ist das Bsp. falsch verlinkt. Ihr habt unser Projekt park-Sleep-fly.eu im Screenshot gezeigt, dabei aber auf unser Projekt park-Sleep-fly.net verlinkt. Das nur zur Vollständigkeit.
Ansonsten freuen wir uns natürlich Erwähnung gefunden zu haben und stehen gerne zur Verfügung wenn ihr (externe) Anektdoten aus dem Alltag der Optimierung sucht. So haben wir bei einem Projekt z.B. gerade im Header Trustelemente eingefügt, was nachweislich zu einer niedrigeren CR geführt hat. Jetzt führen wir schwer religiöse Diskussionen, was uns das sagen muß ;o) Sonniger Gruß aus München. Ralf
Jenny Morys,
Hallo Ralf, vielen Dank für Deinen Hinweis, und bitte entschuldige, wir haben die Verlinkung gleich korrigiert! Wir freuen uns immer, wenn wir den Lesern gute Beispiele dafür zeigen können, wie psychologische Prinzipien online eingesetzt werden, da muss natürlich auch die URL stimmen! Und religiösen Diskussionen dieser Art sind uns natürlich auch nicht unbekannt… da hat man eine – vermeindlich – sichere Hypothese, eine gute Testidee und saubere Umsetzung, und dann macht der Test einfach nicht, was er sollte. Und die Ursachen zu finden, wenn die Daten nichts hergeben, und der User Research womöglich auch nicht helfen kann, stellt einen vor eine echte Herausforderung. Solche Anekdoten und der Austausch dazu sind immer sehr spannend! Vielen Dank fürs Teilen 🙂 Liebe Grüße, Jenny