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Bei Anruf Conversion – echter Kontakt schlägt Volldigitalisierung

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Bereits vor anderthalb Jahren hat Web Arts über eine spannende Untersuchung von Johannes Abeler und seine Kollegen von den Unis Nottingham und Bonn berichtet. Die Forscher konnten in Versuchen beweisen, dass bei Online-Kunden nichts besänftigender wirkt als das Eingeständnis eines Fehlers und eine echte Entschuldigung.

Die Wissenschaftler beobachteten Kundenrezensionen bei eBay. Wurde ein Händler von Kunden schlecht bewertet, bat er diese Kunden um Rücknahme der schlechten Bewertung. 45 % alle Kunden nahmen die Bewertung sofort zurück, wenn sich der Händler z.B. per Telefon persönlich entschuldigte. Lediglich 20% der Kunden nahmen die Bewertung zurück, wenn sie einen Gutschein über 2,5 € bekamen, 23% bei 5 €.

Entschuldigung

Um auf denselben Level wie eine Entschuldigung zu kommen, hätte der Händler 40 Euro-Gutscheine anbieten müssen!
Bei einem durchschnittliche Warenkorb von 25 € ein äußerst ungünstiges Verhältnis. Darüber hinaus zeigt die Erfahrung , dass eine Entschuldigung zu einer höheren Rückkehr-Rate und damit auch mehr “recurrent-conversion” führt. Studienteilnehmer berichteten im Rahmen einer Online-Zufriedenheitsstudie fast einhellig darüber, dass ein Fehler, von einem Firmen Mitarbeiter persönlich ausgeräumt, nicht nur für den späteren Kauf kein Problem sei, sondern sogar für mehr Vertrauen sorgte.

Einem Händler ist es in der Regel eher lästig, Retouren- oder Beschwerde-Management zu betreiben. Es ist zeitraubend und teuer und am liebsten wäre es den Shop-Betreibern sich irgendwie digital und automatisiert dieser Last zu entledigen oder sich durch Gutscheine “freizukaufen”. Betriebswirtschaftlich gesehen scheint ein 5 Euro “Lass-mich-in-Ruhe-Gutschein” günstiger als ein teures Telefonat mit dem Kunden.

Der Telefonanruf eines Geschäftsführers im Krisenfall wird sogar als “Belohnung” wahrgenommen

Von einem rührigen deutschen T-Shirt-Produzenten mit Millionenumsätzen weiß man, dass dieser selbst mal zum Telefon greift, wenn mal eine Lieferung aus dem Online-Shop schief gelaufen ist. Kunden reagieren darauf verdutzt und positiv überrascht – ganz egal übrigens, ob das Problem dadurch gelöst wird oder nicht! Das ist so, als würde sich Mark Zuckerberg persönlich bei Usern melden, wenn man bei Facebook ein Problem mit einem gelöschten Account hätte. Laut Georg Häusel, dem Neuromarketing Guru der Gruppe Nymphenburg schlägt Wertschätzung (Belohnung) die Missachtung (Bestrafung) im Verhältnis 2:1.

 

Fazit: Der Erfolg liegt in der Vermenschlichung des Systems

Natürlich kann man das “System Mensch” weder zu 100% im Online-Business-Modell integrieren noch kann man es ausreichend simulieren. Noch nicht. Es lohnt sich aber darüber nachzudenken, wie nah man an das Ideal herankommt und ob man bislang alles dafür getan hat.

Ein bekanntes Beispiel ist 1und1 bei dem der reale Mitarbeiter Marcell Davis gleich seine reale Persönlichkeit, sein Gesicht sowohl in der Werbung als auch für den Online-Service hinhält.
1und1
Auf dem 1und1 Service-Blog von Marcell Davis geht es durchaus rustikal zur Sache. Mit Beschwerden hält sich dort kein Kunde zurück, insofern ist eine solche Zurschaustellung eines persönlichen Kontakts nicht frei von Risiken und schweren Nebenwirkungen. Dennoch: Die nachhaltige Wirkung und Wertschätzung der Kunden-Bedürfnisse durch eine Ent-Anonymisierung eines Anbieters/Shops wird langfristig den anonymen Betreiber ausstechen.

Die Angabe von Service-Telefonnummern ist auf jeden Fall ein Konversionsmotor- oder Killer je nach Sichtweise. Um ja keinen potenziellen Kunden aus dem vielleicht schon gefüllten Warenkorb schlüpfen zu lassen, penetrieren Reiseanbieter ihre Hotline-Informationen so intensiv wie möglich. Wie die 2 folgenden Bildbeispiele von des Anbieters “ab-in-den-urlaub.de” anschaulich belegen:

Die Startseite: Hier schafft sich die Hotline schon mit den oberen 2 Dritteln des Raumbedarfs Platz!

holidaytest

Auch auf den Produktübersichtsseiten und – so wie hier – auf den Detailseiten tummeln sich Service-Telefonnummern…

holidaytest

… hoffentlich funktionierts!

Ob solche massiven Platzierung eher aktionistisch oder von realen Konversionszahlen getrieben zu werden, möchte ich an dieser Stelle nicht beurteilen. Aber ich denke es hilft sich zunächst folgende 5 Fragen zu stellen:

Fünf Fragen zum Wertschöpfungsfaktor der eigenen Service-Hotline

Frage 1) Wertschöpfungselement oder Geldvernichter?
Ist die Hotline ein Wertschöpfungselement, oder ist es nur eine lästige Kostenstelle? Kann man ja leicht feststellen, wenn man sie mal 1 Monat abstellt.

Frage 2) Hotline-Scoring und Scoping
Wie exakt wurde das je berechnet? Wurden je Kosten/Nutzen-Rechnungen zu den Service-Hotlines erstellt: Kostenlos vs. Kostenpflichtig, 24 Std Service vs. Sprechzeiten, Darstellung der CallCenter Mitarbeiter mit Klarnamen oder Anonym?

Frage 3) Eskalation
Ist der Geschäftsführer/Vorstand vielleicht auch die letzte Eskalations-Instanz und wird das solide kommuniziert?

Frage 4) Zusammenspiel
Wurde je mit dem Zusammenspiel zwischen CallCenter und der entsprechenden Positionierung auf der Website experimentiert?

Frage 5) Alternativen
Ist immer noch die ganze Familie eingespannt, wenn das Telefon klingelt und muss Opa auch nachts mal ran, wenn eine Beschwerde eintrifft? Wurden je Alternativen ausprobiert wie Live-Chat, Outsourcing, Call-Back Möglichkeit etc. ?

Über den Autor

Mitarbeiter Matthias Henrici

Mitarbeiter

Matthias Henrici ist eCommerce-Mann der ersten Stunde. Bereits Anfang der neunziger Jahre entwickelte er wertschöpfende Multimedia-Projekte u.a. für deutsche und internationale Unternehmen. Seit 11 Jahren lehrt er als Dozent für Usability und Neuro-Marketing an deutschen Hochschulen. Matthias Henrici auf XING
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4 Kommentare

  1. Gravatar

    Martin,

    ein sehr interessanter Artikel!!!

  2. Gravatar

    Thorsten Wilhelm,

    Kann das nur stützen: Aktive Kontaktaufnahme per Telefon kann im Fall einer Beschwerde / eines Ärgernis Wunder bewirken.
    Und das nicht nur im Online-Shopping – gilt doch auch in anderen Bereichen (z.B. Feedback von Chefs an Mitarbeitern – niemals per E-Mail; oder in Beziehungen).
    Und dass sich das rechnet, da bin ich mir auch ziemlich sicher: Ein verärgerter Kunde, der per Telefon angerufen wird, eine Entschuldigung bekommt (Einsicht), wird über dieses Erlebnis ganz sicher berichten. Der Shop / das Unternehmen kommt so “ins Gespräch”. Sein Image wird dadurch ganz sicher nicht leiden.
    Ein gutes Invest, eine gutes Telefonat.

  3. Gravatar

    Norbert,

    Anmerkung zu Punkt 1:
    Wenn man ein kleiner Krauter im online Handel ist der mal ein bischen auf den Putz hauen will mit einer Service-Nummer dann bucht man eine 0180er Nummer mit Umleitung zum eigenen Schreibtisch. Das hat zwei Vorteile:
    Man muss die eigene Nummer nicht Kreti und Pleti unter die Nase reiben.
    Wenn jemand anruft bringt das kleine Einnahmen für den Händler ohne den Kunden zuviel zu kosten.

  4. Gravatar

    Julian,

    in der Tat ein sehr interessanter Artikel. Persönlicher Kontakt löst bei vielen Kunden gutes Gefühl aus. Jedoch kann es auch dazu führen, dass zu viele Anrufe als nervend empfunden werden.

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