Agile Produktwelt / Produktmanagement

Optimieren heißt nicht kopieren – Warum Innovationen im E-Commerce so wichtig sind

Marcel Licht
 Lesezeit: 5 Minuten    
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Jede Marke und jedes Produkt profitiert von Innovationen.
Ganz egal ob Weiterentwicklung, Verbesserung oder komplette Umgestaltung – Neuerungen erzeugen Aufmerksamkeit und werden im besten Fall zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Ohne Innovation kommt es hingegen irgendwann zum Stillstand. Dies gilt auf lange Sicht übrigens auch für sehr traditionsbehaftete Branchen und Produkte.

Soweit ist das wirklich nichts neues.

Was hat das aber jetzt mit E-Commerce zu tun?

Beim Vergleich von beliebigen Onlineshops einzelner Branchen wird schnell deutlich, wie ähnlich sich diese in Bezug auf Aufbau und Layout sind. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die meisten Shops scheinen tatsächlich auf einer Kopie des Wettbewerber-Shops zu basieren.

Wenn es der Wettbewerber so macht, kann das ja nicht schlecht sein.

Nicht ganz, denn dieses Nacheifern von „etablierten“ Templates, Services oder Designs führt zu völlig austauschbaren Seiten ohne jegliche Alleinstellung. Warum soll ein Besucher dann dort kaufen, wenn nur das Logo etwas anders aussieht als beim Konkurrenten?

Ein schönes Sprichwort aus dem Englischen macht den Widerspruch deutlich:

Everyone wants to be normal, but no one wants to be average.

Soll Ihr Onlineshop wirklich durchschnittlich sein?

Natürlich nicht.

Chris Goward von Widerfunnel beschreibt den erstrebenswerten Zustand sehr treffend:

Your website should be a vehicle designed to uniquely communicate the value proposition of your product or service and then make it easy for visitors to take the desired action.

Wichtig ist demnach vor allem die Alleinstellung. Und diese lässt sich wie eingangs beschrieben sehr gut über Innovationen erzielen.

Die Form der Umsetzung unterscheidet sich natürlich je nach Ausgangslage:

1. Neuer Anbieter, neues Produkt, neue Website (Startup)

mymuesliIn den vergangenen Jahren haben unzählige junge Unternehmen gezeigt, welche Kraft in neuen Ideen stecken kann. Seien es Zalando, Tirendo, Avandeo oder noch jüngere Anbieter wie Modomoto oder Outfittery – allesamt haben sie bewiesen, dass Erfolg auch ohne lange Tradition und hohe Markenbekanntheit möglich ist.

Ein schönes Beispiel ist auch das ehemalige Startup MyMüsli, deren Produkt den Weg in immer mehr Supermärkte geschafft hat.

Ein genauer Blick zeigt, dass es für alle genannten Anbieter einen guten Grund gibt, genau dort einzukaufen:

  • „Bei MyMüsli kann ich mein Müsli selbst kreieren. Das kann ich sonst nirgends.“
  • „Bei Zalando kann ich mir viele Schuhe kostenlos auf Rechnung liefern lassen. “
  • „Bei Avandeo bekomme ich Designermöbel durch Werksverkauf viel günstiger. “
  • „Bei Modomoto bekomme ich Kleidung geschickt, ohne shoppen zu müssen.“

Natürlich haben solche Differenzierungsmerkmale häufig nur eine kurze Haltbarkeit. Schnell folgen Nachahmer, die solche Erfolgskonzepte kopieren. Der große Vorteil der „Erfinder“ ist allerdings, dass deren Markenkern fest mit der Alleinstellung verknüpft ist.

Die Vorteile haben sich bei der Zielgruppe fest eingeprägt.

Die Frage „wo kann man im Internet versandkostenfrei Schuhe bestellen?“ wird daher wohl zumindest in Deutschland am häufigsten mit „bei Zalando“ beantwortet werden. Auch, wenn das heute so gut wie überall möglich ist.

Über kurz oder lang wird man sich als Anbieter aber immer die Frage stellen müssen, wie der nächste Wettbewerbsvorteil erzielt werden kann. Damit sind wir auch schon bei der zweiten Ausgangslage für Onlineshops:

2. Bekannte Anbieter müssen sich neu erfinden

Etablierte Shops haben den Vorteil, dass sie bereits eine große Stammkundschaft und einen entsprechenden Vertrauensbonus haben. Auf der anderen Seite ist dadurch aber auch Vorsicht geboten, denn das Angebot von heute auf morgen komplett neu zu erfinden wird sicherlich viele Kunden vergraulen. Es gilt daher, den richtigen Grat zwischen Erwartungskonformität und Innovation zu finden.

Kurzum: Alles so gut wie vorher – nur noch besser.

Wie so oft ist hier Amazon ein Paradebeispiel. In einem kontinuierlichen Optimierungsprozess werden stets neue Argumente geschaffen, genau dort und nicht woanders zu bestellen. Bereits Ende der 90er Jahre wurden nutzergenerierte Produktbewertungen eingeführt, die noch heute den Kern des Einkaufsportals darstellen.

Auch in Sachen Versandkostenfreiheit und One-Click-Bestellung hat Amazon Pionierarbeit geleistet. Mit dem Amazon Windowshop werden ebenfalls ganz neue Ansätze verfolgt: weg vom bedarfsforientierten Einkauf, hin zum Stöber-Shopping.

windowshop

Nach den bisherigen App-Rezensionen zu urteilen, scheint das Konzept aktuell noch nicht ganz aufzugehen. Wenn sich das Kaufverhalten in den nächsten Jahren allerdings ändert und alle Konkurrenten nachziehen müssen, wird Amazon mit der „ersten App“ aber erneut als Sieger hervorgehen.

Denn die positive Wirkung als Vorreiter „das ist doch wie bei Amazon..“ geht weit über den Zeitraum der tatsächlichen Alleinstellung hinaus.

amazon_primeair

Bei der angekündigten Luftpost „PrimeAir“ wird das wohl ganz ähnlich werden. Zwar haben sowohl DHL als auch UPS vor wenigen Tagen mitgeteilt, ebenfalls an ähnlichen Projekten zu arbeiten – in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit wird Amazon aber stets der Erfinder bleiben.

Was passiert, wenn eine Idee scheitert?

Ich will mit diesem Artikel nicht sagen, dass jegliches Budget in Innovationen gesteckt werden sollte. Vielmehr soll deutlich werden, dass kostenloser Hin- und Rückversand wohl nicht mehr (lange) als einziges Kaufargument funktioniert.

Betreiber von Onlineshops müssen sich überlegen, wodurch eine Differenzierung in der Zukunft erzielt werden kann. Gut durchdacht muss dies nicht zwangsläufig hohe Kosten und ein hohes Risiko bedeuteten.

Auch kleine Änderungen im Frontend können sich schon als Innovation entpuppen.

Wichtig ist dabei, dass Neuentwicklungen und Verbesserungen stets agil und messbar bleiben.

Die Möglichkeiten von A/B-Testing sind für solche Innovationsprozesse hervorragend geeignet. So kann schon in einem sehr frühen Entwicklungsstadium auf Basis von „echten“ Zahlen entschieden werden, ob eine Idee funktioniert oder nicht.

Dies ist ein riesiger Vorteil zum klassischen Handel, wo die Frage nach dem tatsächlichen Erfolg erst nach der millionenschweren Produkteinführung beantwortet werden kann. Und eine gescheiterte Produkteinführung kostet dann richtig viel Geld. Ein Risiko – das online mittels A/B-Testing leicht zu umgehen ist.

Fazit

Für Neuerungen und Verbesserungen gibt es natürlich kein Patentrezept. Dazu sind Anbieter und Produkte viel zu individuell. Dennoch möchte ich abschließend ein paar Tipps und Hinweise zusammenfassen, die den Weg zum Erfolg erleichtern können:

  • Innovationen erzeugen Aufmerksamkeit und Wachstum.
  • Innovation kann nicht durch das Kopieren von anderen Shops erreicht werden.
  • Schaffen Sie individuelle Verbesserungen, die einen tatsächlichen Mehrwert bieten.
  • Prüfen Sie, ob existierende Differenzierungsmerkmale klar kommuniziert werden.
  • Versuchen Sie, die entscheidenden Wettbewerbsvorteile eng mit dem Markenkern zu verknüpfen.
  • Berücksichtigen Sie bei Neuerungen stets das gewohnte Verhalten Ihrer Kunden.
  • Mit A/B-Tests können nicht nur Buttons hin- und hergeschubst werden.
  • Testen Sie daher auch größere Schritte und Ideen, bevor riesige Budgets in Projekte fließen.

Über den Autor

Marcel Licht

Vorstand

Marcel Licht ist Vorstand bei konversionsKRAFT. Er beschäftigt sich seit 2009 mit der Conversion Optimierung von Websites namhafter Unternehmen aus den Bereichen Finanzen, Telekommunikation, Tourismus und Onlinehandel. Weiterhin ist Marcel Licht Dozent für Conversion Optimierung an der Hochschule Darmstadt. Seine Artikel erschienen bisher in Publikationen wie iBusiness, Website Boosting, t3n, Chip und weiteren Magazinen.
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4 Kommentare

  1. Gravatar

    Thorsten Wilhelm,

    Das mit den Innovationen im Online-Shopping ist so eine Sache. Wird schwierig da wirkliche Innovationen – im engeren Sinne des Wortes – zu finden und auch 2014 wird es da meines Erachtens wenig geben. Muss aber aucht nicht, es gibt noch viel im Detail bei dem zu optimieren, was an Funktionen, Inhalten & Services derzeit bereits geboten wird. Würde mich freuen, wenn viele Shops diese Detailarbeit 2014 angehen und noch mehr Liebe zum Detail entwickeln.

  2. Gravatar

    Jagsch Wolfi,

    Der Apple-Gründer Steve Jobs hat es in der Vergangenheit immer wieder aufs Neue sehr eindrucksvoll bewiesen, dass Innovation die beste Werbung ist. Dort wo technikferne Manager am Werk sind, gehen ganze Konzerne den Bach runter. Kreativität ist immer noch der beste Motor, wenn es um Markenbildung geht.

  3. Gravatar

    S,

    Mumpitz. Unique Selling Points werden völlig überschätzt. Man muss überhaupt nicht unique sein, um Erfolg zu haben. Neben MyMüsli können Copycats wie MüsliMeister und Müslmüsl genauso erfolgreich sein, wenn sie Aufmerksamkeit erzeugen und eine sinnvolle Leistung erbringen. Lieber eine gute Kopie, die Kunden einen echten Wert bietet, als ein komplett unsinniges uniques Irgendwas. Wir Menschen vollen als Individuen möglichst kreativ und unique sein, für das Geschäft ist das allerdings oft unerheblich. Der Erfolg von innovativen Unternehmen hat in erster Linie mit der zusätzlichen Aufmerksamkeit zu tun, die sie bekommen, nicht mit deren Uniqueness an sich. Wenn ich im Supermarkt einkaufen gehe, gehe ich zum Geschäft mit der besten Kombination aus Nähe, Auswahl und Preis. Ob mein Supermarkt um die Ecke dann noch unique ist und das Einkaufen auf Schlittschuhen ermöglicht, ist dabei ein netter Gag, der Aufmerksamkeit erzeugt und zum Ausprobieren animiert, aber langfristig keinen Mehrwert bietet.

  4. Gravatar

    Stephan,

    Hier geht es meiner Meinung nach um zwei verschiedene Dinge:

    1) Das Aufbauen von Alleinstellungsmerkmalen: je nach Konkurrenzdruck in der jeweiligen Nische durchaus wichtig, um sich von den Nachbarn zu unterscheiden.

    2) Gleiches bzw. sehr ähnliches Layout bei Online-Shops. Diese Feststellung könnte man übrigens auf andere Bereiche übertragen, denn Blogs oder News-Portale sehen sich innerhalb ihrer Nische auch alle sehr ähnlich. Prinzipiell bin ich hier anderer Meinung. Unglaublich viele Menschen haben schon mal bei den großen Shops eingekauft (Amazon, Zalando, Otto, etc.). Von diesen Shops sind sie gewisse Dinge, Funktionen und Strukturen gewöhnt bzw. haben sie dort erlernt. Was macht es für einen Sinn mit meinem Nischenshop jetzt diese erlernten Muster zu durchbrechen? Manche Dinge im Layout, Positionierung, etc. haben sich über die Jahre einfach bewährt. Das ist Evolution im Internet. Um es überspitzt zu sagen: das Rad wird auch nicht neu erfunden. Das Material wird verändert etc., aber das Rad bleibt rund!

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