Wie viel oder Warum? CRO-Analysemethoden im Vergleich
Die Webseiten Analyse scheint die graue Maus der Conversion Optimierung zu sein. Irgendwie zu unsexy im Vergleich zu all’ den Case Studies mit hohen Uplifts und schicken Balkendiagrammen. Dabei ist die Analyse der Bereich, wo die ganze „Magie“ entsteht. Denn ohne gute Analyse keine guten Konzepte – und damit keine hohen Uplifts.
Es gibt zwei recht unterschiedliche Ansätze wie man eine Webseite in die Mangel nehmen kann. Einmal die datengestützte quantitative Analyse und einmal ein qualitatives Vorgehen auf Basis von Frameworks, Nutzerbefragungen oder Experteneinschätzungen.
Beide Verfahren haben Vor- und Nachteile, die beleuchtet werden sollen. Doch zum Einstieg ein einfaches Bild, um zu verstehen, was quantitative und qualitative Analysemethoden eigentlich bedeuten:
Vom platten Autoreifen zum Testkonzept
Veranschaulichen lassen sich beide Analysen anhand eines platten Autoreifens:
Die quantitative Analyse ist der Bordcomputer der sagt, welcher Reifen platt ist. Die qualitative Analyse ist der Mechaniker, der das Loch findet und flickt, indem er fragt, warum der Reifen platt ist. D.h. wenn die eigene Webseite nicht ganz rund läuft, kann man messen, wie viel Luft noch auf dem Reifen ist, aber das Warum klärt man damit nicht.
Quantitative Datenanalyse – Die Frage nach dem “Wie viel?”
Die quantitative Analyse stellt die Frage nach dem “Wie viel” und bezeichnet die Analyse auf Basis von Zahlen und Tabellen. Sie fasst Webseiten-Besucher in Funnels zusammen, berechnet Ausstiegs- und Abschlussraten, zeigt Besucherströme an und vieles mehr.
Wenn man in der Lage ist, in der Masse der Daten eine Unebenheit zu erkennen, ist der erste Schritt in der langen Kette der Conversion Optimierung getan. Auch ist sie managementkonform, da sie auf belegbaren Fakten beruht.
Der Aufwand ist vergleichsweise klein (wenn das Tool richtig eingerichtet wurde) und lässt sich in Teilen sogar automatisieren. Reports können generiert und wöchentlich ohne viel Arbeit verschickt werden, solange nur an der Oberfläche gekratzt wird. Recht praktisch für kontrollbedürftige Menschen wie mich. Das Thema Business-Intelligence lassen wir hier mal außen vor.
Ein wenig komplizierter wird es, wenn alle offensichtlichen Unebenheiten behoben wurden. Dann heißt das Stichwort Segmentierung – also die Aufschlüsselung der Datenmassen in auswertbare Häppchen. Dabei rückt der Analyst und dessen Fähigkeiten stark in den Mittelpunkt. Nur wenn hier die Qualität stimmt, ergeben sich neue Erkentnisse. Die Kunst besteht darin, die richtigen Fragen zu stellen, und sie mithilfe der Daten zu beantworten.
Leider zeigt die quantitative Analyse keine Lösungen sondern lediglich den IST-Zustand der Webseite. Die Frage, warum es gerade hier eine Messspitze in den Daten gibt, wird nicht beantwortet. Dazu kommt, dass nicht jedes Besucherverhalten in einer statistischen Spitze zu erkennen ist, weshalb die Analyse nach einer gewissen Zeit an ihre Grenzen stößt. Es entsteht viel Interpretationsspielraum und somit auch eine erhöhte Anfälligkeit für Fehler.
Qualitative Analyse – Die Frage nach dem “Warum?”
Die qualitative Analyse kommt hingegen ganz ohne Excel-Tabellen aus. Sie nutzt zur Analyse verschiedene wissenschaftliche Methoden.
Einige der bekanntesten Modelle sind:
- das 7-Ebenen-Modell von André Morys hier im Blog,
- das Lift-Modell von Widerfunnel,
- BJ Fogg’s Behaviour Modell,
- oder das Rubikonmodell der Handlungsphasen
Mit diesen Modellen kann das Kaufverhalten der Besucher im Detail analysiert und Ableitungen getroffen werden.
Auch beliebt sind Nutzerbefragungen. Die einfachste Form davon ist eine Online-Befragung auf der Webseite, was fast schon wieder einen quantitativen Charakter hat.
Deutlich zielgerichteter aber auch aufwändiger sind Labor-Studien mit echten Kunden unter Einsatz technischer Hilfsmittel, wie zum Beispiel einem Eye-Tracker. Die Erkentnisse daraus sind sehr detailliert wodurch große Potentiale aufgedeckt werden. Wird die Analyse richtig angewendet, fördert sie die Kreativität der Beteiligten. So werden oft beim Auswerten Lösungsansätze entwickelt, die so im Vorfeld nicht berücksichtigt wurden. Dies schafft einen Vorteil im Wettbewerb und ist der Motor für Innovation in der Conversion Optimierung.
Bei der Durchführung wird eine vielfältige Mischung aus Erkenntnissen der Usabillity sowie Verhaltens- und Konsumpsychologie genutzt. Die durchführenden Personen müssen auf fundiertes Wissen zurückgreifen können und einen hohen Abstraktionsgrad besitzen, um nicht Gefahr zu laufen, zu eindimensional zu denken.
Dies ist auch eine der größten potentiellen Schwachstellen der qualitativen Analyse. Denn diese steht und fällt mit der Qualität der Experten, die sie durchführen.
Begünstigt wird dies zudem durch den zweiten großen Qualitätsfaktor: der Zeit. Denn Ergebnisse können bei der qualitativen Analyse nicht recherchiert, sondern müssen erarbeitet werden.
Case Studies – Der Feind der Analysemethoden
Um Ideen für Tests zu generieren (das eigentliche Gold der Optimierung) wird allzu häufig auf Bewährtes zurückgegriffen. Es wird sogar in Frage gestellt, warum es überhaupt eine Analyse braucht.
Die Verlockung einfach das zu testen, was der Wettbewerber macht oder was man selbst gut findet ist wohl zu groß. Überall im Internet (auch auf diesem Blog) lassen sich Case Studies finden, die Uplifts jenseits von 20 % zeigen. Warum also noch in eine Analyse investieren, wenn mit “copy and paste” schon tolle Resultate erzielt werden können?
Dass diese hohen Uplifts nur möglich sind, weil ein Loch in einem Reifen geflickt wurde, welches man im Vorfeld gezielt identifiziert hat, wird dabei vergessen.
Die Reaktion auf solche Case Studies ist oft, dass euphorisch auch der Reifen vorne Links gewechselt wird. Ärgerlich nur, wenn das eigene Auto hinten rechts einen Platten hat. Auf den Punkt gebracht: Ob die Case Study und deren Erkenntnisse wirklichen das eigene Problem lösen kann und auch auf der eigenen Webseite funktioniert, ist in keiner Form garantiert.
Quantitativ oder Qualitativ – Was ist besser?
Mithilfe einer qualitativen und/oder einer quantitativen Analyse sind solche Dinge vermeidbar. Stellt sich nun die Frage, welches die beste Methode ist, richtig?
Falsch! Denn ein Vergleich wäre nicht richtig, da beide im Kern viel zu verschieden sind.
Die bessere Frage ist: Zu welchem Zeitpunkt ist welche Analyse am sinnvollsten?
Auch hier kann das Beispiel mit dem platten Reifen helfen. Als erstes sollte der Bordcomputer befragt werden welcher Reifen betroffen ist, danach kann der Mechaniker eingeschaltet werden. Die quantitative Analyse ist perfekt, wenn es darum geht, sich ein erstes Bild der Webseite zu machen. Ist das Tool richtig eingebunden (woran es bereits oft scheitert) lässt sich meist schon die ein oder andere Stelle mit Potential entdecken.
Tiefer Einsteigen ergibt dann mit Tabellen aber nur noch bedingt Sinn. Denn selbst für den Fall, dass man die Schwachstelle eingrenzen und auch beziffern kann, so wird am Ende nie die Antwort auf die Frage nach dem “Warum?” geklärt.
An dieser Stelle kommt die qualitative Analyse ins Spiel. Diese liefert mithilfe der Wissenschaft Gründe für die Schwachstelle und zugleich auch Ansätze, diese zu beheben.
Stehen dann am Ende mehrere Lösungsansätze zur Diskussion, empfiehlt sich ein Testszenario.
Fazit
Ob nun datengetriebener Typ oder kreativer Kopf, alleine wird man nicht das gewünschte Ziel erreichen. Die Kombination aus aus Beidem liefert dauerhaft den größten Erfolg.
Die quantitative Analyse bietet einen guten Start in ein neues Optimierungsprojekt und sollte zu Beginn zu Rate gezogen werden. Zudem eignet sie sich hervorragend als Überwachungstool. Zu erst also die Frage stellen, wo und wie viel Luft der Reifen verliert?
Ist alles eingerichtet, wird mithilfe verschiedener qualitativer Ansätze die Seite auf Mark und Bein untersucht, Ideen gesammelt und diese erprobt. Es wird geklärt, warum die Seite Luft verliert.
Selbst Schwachstellen zu identifizieren mag zwar aufwändiger sein als Case Studies zu kopieren, ist aber ein Prinzip mit Erfolgsgarantie. Und irgendwo müssen die ganzen Case Studies ja schließlich auch herkommen 😉