Konsumpsychologie

Status quo Bias: Warum die Macht der Gewohnheit andere psychologische Prinzipien auf den Kopf stellt

Jenny Morys
 Lesezeit: 10 Minuten    
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Der Status quo Bias drückt das aus, was jeder als die “Macht der Gewohnheit” kennt: wir bevorzugen unseren aktuellen Zustand gegenüber Veränderungen! Wie man sich dieses Prinzip online dennoch zunutze macht (oder auch einfach mal ganz frech herausfordert), zeigen wir Euch in unserem neuen überzeugungsKRAFT Video. Natürlich wieder mit vielen Praxisbeispielen und einem spannenden Experiment aus Wales!

 

 

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Der Status quo Bias: Veränderung kostet Energie!

Die menschliche Tendenz zum ”Status quo” ist eine kognitive Verzerrung, die zu einer übermäßigen Bevorzugung des aktuellen Zustands gegenüber Veränderungen führt. Oder anders ausgedrückt: wir wollen, dass die Dinge ungefähr so bleiben, wie sie sind. Und unsere aktueller Situation ist dabei der Referenzpunkt. Diese Tendenz kennen die meisten aus dem Alltag. Ein typisches Beispiele dafür ist z.B. die Affinität zu einzelnen Marken oder Produkten. Bei Automarken oder Mobiltelefon-Herstellern ist der Effekt besonders stark, hier kommen zusätzlich emotionale Werte und Assoziationen, die mit einer Marke verbunden werden, dazu.

Der Bias ist aber auch bei weniger emotional geprägten Produkten sehr stark. Wer immer ein bestimmtes Deo oder Toilettenpapier kauft, greift mehr oder weniger automatisch im Supermarkt zu diesem Produkt.

Die Person entscheidet sich nicht bei jedem Kauf neu bewusst dafür.

Und wie oft bestellt man beim Italiener um die Ecke die Pizza Salami, einfach, weil man sie immer bestellt – obwohl die Speisekarte doch so viel mehr hergeben würde!

Dabei zeigt sich ein interessantes Phänomen: diese Verzerrung gilt sogar für einen Status quo, den wir nur zugeteilt bekommen, sogar per Zufall! Dazu gibt es ein spannendes Experiment der Psychologischen Fakultät der Cardiff University in Wales:

Den Probanden wurde bei diesem Versuch mitgeteilt, dass sie einen Ball in einen Korb werfen sollen, und dafür einen Schokoriegel als Belohnung erhalten. Dabei wurde der einen Hälfte der Teilnehmer zunächst gesagt, dass sie mit ihrer dominanten Hand werfen sollten.

Rechtshänder werfen demnach mit rechts und erhalten dafür einen Schokoriegel. Der anderen Hälfte wurde gesagt, dass sie mit ihrer NICHT dominanten Hand werfen sollten. Zur Belohnung erhalten sie dann zwei Schokoriegel.

Status Quo Bias: Experiment der Psychologischen Fakultät der Cardiff University
Status quo Bias: Schokoriegel-Experiment der Cardiff University.

 

Auf dem Weg zum Experiment wurde den beiden Gruppen dann auch alternativ noch die andere Möglichkeit angeboten. Sie konnten somit wechseln – oder bei ihrer ursprünglichen Instruktion bleiben:

Status Quo Bias: Experiment der Psychologischen Fakultät der Cardiff University
Status quo Bias: Schokoriegel-Experiment der Cardiff University.

 

Die spannende Erkenntnis: die meisten blieben bei der Variante, die ihnen zu Beginn des Experiments genannt worden war, unabhängig davon, welche es war!



Die Teilnehmer entschieden also nicht aufgrund einer Abwägung von Risiko und Belohnung. Sie blieben aufgrund des Status-quo-Effekts bei der Instruktion, die ihnen zuerst genannt wurde.

Eine aktive Veränderung wurde zugunsten des aktuellen Zustands vermieden, obwohl dieser nur per Zufall zugeteilt worden war. Dieser Effekt ist in der Forschung auch als der “Default-Effekt” bekannt!

Praktische Anwendung des Prinzips im Marketing und eCommerce

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, mit dem Status quo Bias gezielt umzugehen:

a)  ihn gezielt verstärken, wie z.B. der bekannte Werbeslogan der Lebensmittel-Marke Du darfst es tut:

Ich will so bleiben wie ich bin

Status Quo Bias: Ich will so bleiben wie ich bin

b) ihn provozieren, wie es z.B. der Apple-Werbeslogan “Think different.” tut:

Status Quo Bias: Appel und Think Different

Aktive Verstärkung des Status quo

Um den Status quo zu verstärken, gibt es verschiedene Möglichkeiten:

a) Definition des Status quo während eines Prozesses

Wie aus dem Experiment der Universität Cardiff deutlich wird, tendieren wir dazu, bereits vordefinierte Zustände erstmal als gegeben zu akzeptieren.

Gut zu wissen: Solange der Gewinn, den eine aktive Änderung des Status quo verspricht, nicht höher bewerten wird als das Risiko, durch eine Veränderung etwas zu verlieren, bleiben wir bei dem, was wir haben.

Das gleiche gilt auch online, z.B. bei vordefinierten Optionen oder Formularfeldern in Prozessen. Diese werden mit höherer Wahrscheinlichkeit vom Nutzer so gelassen, wie sie sind. Zumindest, wenn sie mit keinem persönlichen Nachteil / Risiko assoziiert werden.

Hier wird z.B. bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung eine typische Rentenhöhe und Laufzeit vorgegeben. Dadurch kann der Nutzer schnell eine Beispielberechnung durchführen und das Ergebnis ohne zu großen Eigenaufwand erhalten. Die vordefinierte Auswahl macht einen eventuell komplexen Prozess einfacher.

Status Quo Bias: cosmosdirekt
Status quo Bias: Vordefinierte Auswahl bei cosmosdirekt.de.

 

Bei dem folgenden Beispiel bietet Eventim an, automatisch die besten verfügbaren Sitzplätze für eine Veranstaltung auszuwählen. In einem solchen Fall wird der Status quo dazu genutzt, ihm eine Empfehlung auszusprechen. “Wenn Sie diese Option wahrnehmen, erhalten Sie automatisch das Beste was wir ihnen bieten können”

Status Quo Bias: Eventim
Status quo Bias: Empfehlungen bei Eventim.

 

Auch in Checkout-Prozessen können Optionen vordefiniert werden. Die angebotene Reihenfolge der Paketzusteller und Vorauswahl kann beeinflussen, wie wahrscheinlich Nutzer die jeweiligen Paketdienste oder Zahlweisen wählen.

Einfach gesagt: wenn es dem Kunden egal ist, wer ihm sein Paket zustellt, wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit den vorausgewählten Paketdienst wählen. Wenn ohnehin immer der selbe Paketdienst bevorzugt wird, sollte dieser auch vorausgewählt sein.

Status Quo Bias: Vorauswahl Paketdienste
Status quo Bias: Vorauswahl Paketdienste bei Cunda.de

 

Bei dieser Anwendung des Prinzips gibt es Grenzen gesetzlicher als auch praktischer Art. Aber es schadet in keinem Fall, das Prinzip bei der Gestaltung von Prozessen im Hinterkopf zu behalten.

b) Bestätigung des aktuellen Status quo eines Kunden

Die Tatsache, dass der eigene Status quo berücksichtigt und aufgegriffen wird, führt zu einer positiven emotionalen Einstellung.

Eine positive Reaktion auf ein Angebot, kann aktiv gefördert werden, indem Kunden in ihrem aktuellen Status quo bestätigt werden.


Ein Beispiel aus der Modewelt:

Jeder Mensch besitzt sogenannte Basics wie T-Shirts, Socken und Unterwäsche. Dieser Status quo ist bei allen Kunden vorhanden.

Aus diesem Wissen heraus kann man Kunden gezielt fragen, ob sie mit ihren vermutlich vorhandenen Basics wie Socken oder T-Shirts noch zufrieden sind.

Der Status quo Bias ist interessant für die Personalisierung von Inhalten

Wir können hier auch noch stärker in den Bereich der Personalisierung gehen: wir fragen einen Bestandskunden, der online vor einem Jahr Socken gekauft hat, ob diese noch in Ordnung sind. Das funktioniert immer dann besonders gut, wenn Bestandskunden immer wieder die gleichen (Verbrauchs-)Artikel nachbestellen. Das können z.B. im B2C- Bereich Tierfutter oder Druckerpatronen sein, oder auch im B2B-Bereich Büromaterial. Wenn man es Bestandskunden möglich macht, ihre Produkte besonders komfortabel nachzubestellen, sinkt die Gefahr, diese an andere Anbieter zu verlieren.

Dieser Hundefutter-Shop bietet seinen Kunden beispielsweise eine “Blitzbestellung” an, um möglichst einfach die Standardprodukte nachzubestellen.

Status Quo Bias: Personalisierung bei lupovet
Status quo Bias bei lupovet.


Der Tiefkühl-Lebensmittelanbieter “Bofrost” bietet Bestandskunden die Möglichkeit, Merklisten mit den “Basics” zu erstellen. So lassen sich diese in den Warenkorb legen, ohne die gewünschten Produkte immer wieder neu suchen zu müssen.

Status Quo Bias: Merkliste bei bofrost
Status quo Bias: Merkliste bei bofrost.de.


Bei Neukunden ist der Status quo unbekannt ist und kann oftmals nicht vorausgesetzt werden.  Dann gibt es die Möglichkeit, diesen abzufragen. Dieses Prinzip nutzen Stilberater wie Modomoto, Outfittery oder Zalon. Sie fragen den potenziellen Kunden fragen, welche Kleidung er üblicherweise gerne trägt, bzw. laden ihn ein, Fotos mit Lieblings-Styles auf der Website hochzuladen. Falls du dich für das Thema Personalisierung im Fashion E-Commerce interessierst, haben wir im Growth Ambassador Programm ein sehr interessantes Video für dich, das dir bei der Personalisierung hilft. Zudem kannst du dich in dem Programm mit Fach- und Führungskräften aus der Community über eure Erfahrungen austauschen und wichtige Insights erlangen! Bewirb dich für das Programm, damit auch deine Website zu einem Best Practice wird.  

MODOMOTO fragen den Status Quo ab.
MODOMOTO fragen den Status quo ab.

 

Ein weiteres Beispiel aus der Technik-Welt: Das Prinzip den Status quo gezielt abzufragen, lässt sich recht einfach auf andere Business-Bereiche übertragen. Interessiert sich ein Kunde für einen neuen Fernseher, könnte er man ihn zunächst fragen, welches Gerät er aktuell hat. Und was ihm daran gefällt.

Im nächsten Schritt würde man ihm auf seinen Vorlieben basierend neue Modelle zu präsentieren. So würde es im übrigen auch ein guter Verkäufer im Einzelhandel machen. Interessiert er sich für die aktuelle Situation des potenziellen Käufers, und berät ihn auf Basis der Informationen, die er von ihm erhält, ist das Commitment zum Kauf deutlich größer.

Ist der Kunde z.B. mit seiner aktuellen Marke zufrieden, aber auf der Suche nach einer größeren Bildschirmdiagonalen ist, vereinfacht es, die passende Empfehlungen auszusprechen.

Denn wir erinnern uns: die Nutzung der selben Marke verursacht in der Regel weniger Stress, weil sich z. B. der Umgang mit der neuen Fernbedienung vertraut anfühlt. Hier könnte ein Online-Berater helfen, den Status quo abzufragen.

Status Quo Bias: MediaMarkt
Abfrage des Status quo bei MediaMarkt.de.

 

Tipp bei der Auswahl von Produkten:
Je größer die Auswahl an Alternativen ist, desto größer ist der Status quo Bias. Je leichter es Kunden gemacht wird, aus der großen Auswahl an Alternativen, das richtige Upgrade zu seinem Status quo zu finden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde sich für etwas Neues entscheidet.

2. Herausfordern des Status quo

Die andere oben erwähnte Möglichkeit besteht darin, den Status quo aktiv herauszufordern, um eine Veränderung zu provozieren.

Hier ist z. B. die Option zu nennen, beharrliche “Gastbesteller” sanft auf die positiven Effekte einer Registrierung hinzuweisen. Dabei kann es durchaus effektiv sein, die Vor- und Nachteile deutlich zu kommunizieren, wie es hier im C&A Checkout passiert:

Status Quo Bias: C&A kommunizieren Vorteile des Kundenkontos.
Status quo Bias: C&A kommunizieren Vorteile des Kundenkontos.


Ein anderes Beispiel ist, einem Gastbesteller auf der Danke-Seite die Möglichkeit zur nachträglichen Registrierung zu bieten und den daraus resultierenden Vorteil noch einmal zu kommunizieren. So kann man dem Kunden zunächst die Gelegenheit geben, den “gewohnten Gang” zu gehen, und im Nachgang den Status quo durch eine Registrierung noch aufzuwerten. Hier ein Beispiel von idealo:

Status Quo Bias: Vorteile des Kundenkontos bei idealo.de
Status quo Bias: Vorteile des Kundenkontos bei idealo.de


Auch bei der Abmeldung aus sozialen Netzwerken wie hier in Facebook wird auf den Status quo hingewiesen: “Bist Du sicher, dass du dein Konto deaktivieren möchtest?”. Ebenso deutlich wird der persönliche Verlust kommuniziert, den der Nutzer durch seine Abmeldung hinnehmen muss: “XY wird dich vermissen”.

Status Quo Bias: Abmeldung bei Facebook.
Status quo Bias: Abmeldung bei Facebook.de.

 

Dabei greift noch ein weiterer psychologischer Effekt dem Status quo Bias unter die Arme, nämlich die Verlustangst, auch als “Loss Aversion” bekannt. Dieses Behavior Pattern zeigt sich, wenn Menschen verhindern möchten, dass ihnen etwas genommen wird, was sie bereits besitzen und schätzen.

Wichtig ist aber, dass es sich dabei nicht um das gleiche handelt. Die Verlustangst dient eher als eine Art Verstärker oder als eine Grundlage für den Status quo Bias.

Und natürlich kannst du dem Kunden einfach sagen, warum ab und zu ein bisschen Veränderung gut tut. 🙂

Status Quo Bias: Ben & Jerrys
Ben & Jerrys stellen den Status quo in Frage

 

Status Quo Bias: NEOGYM fordern den Besucher heraus.
Status quo Bias: NEOGYM fordern den Besucher heraus.

 

Status quo Bias: Fazit und ein Pro-Tipp

Es ist wichtig, den Status quo zu respektieren. Eine Website kann auf den ersten Blick unordentlich und unübersichtlich wirken. Räumst du diese jedoch nach allen Regeln der Kunst der “Kognitiven Leichtigkeit” auf, könnte diese in A/B-Tests deutlich schlechter als die Ursprungsvariante abschneiden.

Die Seite passt gegebenenfalls nicht mehr zu dem, was die Kunden von ihr erwarten. Eventuell ist sie nicht mehr authentisch. Sie ist für den Neukunden leichter bedienbar, aber für den Bestandskunden irritierend.

Wer zu radikal seine bestehende Website verändert, ohne sich Rückmeldung aus Kundensicht zu holen, kann damit eine echte Bruchlandung erleben. Und so hebelt der Status quo Bias das ein oder andere “Behavior Pattern” einfach aus.

Ein weiteres Beispiel: Snapchat änderten ihr Design und ernteten daraufhin einen ordentlichen Shitstorm:

Status Quo Bias: Snapchat ernten Shitstorm
Status quo Bias: Snapchat ernten Shitstorm (DerStandard.de)



Bei Shops mit einer hohen Zahl an Bestandskunden und Mehrfachbestellern sollte also auf die Gewohnheiten des Nutzers Rücksicht genommen werden. Das ist im übrigen ein wichtiger Erfolgsfaktor von vielen Global Playern wie Amazon oder Booking!

Betrachtet man die Entwicklung dieser Seiten, wird deutlich, dass sich in den letzten Jahren nicht viel an der grundlegenden Struktur verändert hat. Es ist zwar zu erkennen, dass Optimierung stattgefunden hat, aber schrittweise und in Details. Nie wurde ein radikaler Relaunch durchgeführt!

Status Quo Bias: Kein radikales Relaunch bei Booking.com
Booking.com haben seit 2011 die Website nicht radikal verändert.

 

Status Quo Bias: Kein radikales Relaunch bei Booking.com
Booking.com meiden den radikalen Relaunch.


Tipp zum Schluss: Ähnlich wie bei dem Behavior Pattern “Breaking Rules”, sollte dem Status quo nur sparsam entgegengewirkt werden, um keine Reaktanz beim Nutzer auszulösen. Denn im Zweifelsfall möchte er so bleiben wie er ist.

Hinweis: Der Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem überzeugungsKRAFT-Kollegen Stefan Mayer.

☝️ Tipp: Tappe nicht in die Relaunch-Falle!
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Über den Autor

Jenny Morys

Senior User Researcher & Senior Quality Manager

Jenny Morys ist Diplom-Psychologin und arbeitet seit über 10 Jahren als Senior Consultant bei konversionsKRAFT. Zusammen mit den anderen Mitgliedern des überzeugungsKRAFT-Teams erforscht sie unter anderem verhaltenspsychologische Prinzipien und leitet Anwendungsideen für die Onlinewelt ab.
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