Conversion Analysen

Größe, Maße, Dimensionen – entscheidende Unsicherheitsfaktoren beim Online-Kauf

 Lesezeit: 8 Minuten    
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Wir Männer hatte ja schon immer ein Problem damit Größen richtig einzuschätzen, da wurden aus 12 cm schnell mal 20 cm, nur so zum prahlen. Speziell Männer um die 40 und dann vor allem die, die bauchmäßig das eine oder andere Kilo dazu gepackt haben, kennen meist ihre eigene (Kleider)Größe nicht oder nicht mehr oder schätzen sie falsch ein. Frauen kennen ihre Kleider-Größen deutlich besser, glauben aber z.B. nicht, dass die Hose in 38 tatsächlich passt und suchen im Bildmatrial des Online-Shops nach “Hinweisen” für einen Vergleich. Es geht aber nicht nur um Mode, auch alle anderen Maßen und Dimensionen bei Möbeln und Einrichtungsgegenständen sind ein unerschöpflicher Brunnen für Zweifel, Unsicherheit und Mißtrauen.

Beobachtet man Männer in einem Online-Mode-Shop und bittet sie, sich einen Anzug zu bestellen, erntet man oft hilflose Blicke. Insbesondere Größen- oder Vergleichstabellen lässt viele verzweifeln und offenbart die ganze Palette der Hilflosigkeit: “Ich versteh’ das nicht. Diese Größen: 52, 54, 102 und dann 25 und dann wieder 106? Ist das nicht unlogisch?

Größentabelle
Abbildung: Größentabelle für Anzüge in einem Männermoden-Shop

Außerdem passt mir meistens nur XXL, gibt’s das hier?!” Dabei sind Männer – zumindest was Mode betrifft – meist klassische Bedarfskäufer, sie haben einfach keine Lust aus Lust zu kaufen. Und das ist eigentlich ideal um sie im Online-Kauf zu bedienen, wenn diese leidige Größe nicht wäre. Aber dafür gibt es doch das Rückgaberecht, könnte man hier einwerfen. Stimmt. Aber Bedarfskäufer haben auch keine Lust auf Stress und große Umstände, daher ist die Aussicht darauf ein Kleidungsstück anzuprobieren und dann zurückzusenden für die meisten Männer ein größerer Alptraum als für Frauen.

Größen sind abstrakt und das ist schlecht für die Conversion

Eines ist klar: Für Menschen sind Maße virtuelle und abstrakte Größen. Das Gehirn kann ohne äußere Bezugsmöglichkeiten nur sehr ungenau schätzen. Auf der anderen Seiten beeinflussen äußere Objekte im starken Maße die Wahrnehmung von Größen.

Das folgende Beispiel zeigt diesen “Relationseffekt” als optische Täuschung. Die meisten Menschen antworten auf die Frage, ob der rote Kreis rechts größer oder kleiner als der linke Kreis ist, mit “Größer”. (Anmerkung: Beide Kreise sind gleich groß)

Punkte

Es nützt allerdings nicht viel, wenn vermeintliche Normen irgendwann doch gelernt sind. Denn die Industrie verändert diese auch gerne mal. Die Modebranche dimensioniert alle paar Jahre heimlich die Kleidergrößen nach oben, ohne die Nenn-Werte zu ändern. In eine Größe ’38’ aus dem Jahr 1995 passt heute kaum noch eine deutsche Durchschnitts-Frau hinein, obwohl sie jetzt jede Menge bequemer Sachen in Größe ’38” aus dem Jahre 2010 im Kleiderschrank hängen hat.

Manipulationen von Normen können noch auf andere Weise lukrativ sein. Der Wegfall der EU-Richtlinie 2007/45/EG im April 2009 machte aus dem 400 Gramm Kaffee-Päckchen ein gefühltes 500 Gramm Paket nur zunächst eben motivierend günstig. Der eine oder andere Käufer bemerkt diese Veränderung oft nur, wenn man ihn aktiv darauf hinweist.

Immer weniger Menschen können Größen einschätzen

Ein Großteil der Bevölkerung, dazu gehören vor allem die jüngeren Zielgruppen scheinen ihren Sinn für Größenordnungen zu verlieren. Fragt man Studienteilnehmer, wie groß denn ein in einem Online-Shop gefundene Beistelltischchen mit seinen 60 Zentimeter-Radius ungefähr sei, dann zeigen sie mit den Armen von 30 bis 120cm so ziemlich jede falsche Größenordnung an. Ursache scheint wohl der Mangel des Lavierens mit Zollstock und Zirkel zu sein, das anderen Generationen zuvor noch gegeben war.

Der stationäre Handel kennt das Problem ebenfalls seit Jahrzehnten:
Matraze
Ein Händler für Matratzen erklärte mir das Phänomen einmal so: “Jeder der hier reinkommt, ist über die 60% Preisnachlass gestolpert und möchte die Matratzen am liebsten sofort kaufen. Doch jedem Zweiten ist aber leider nicht klar, ob er 90 cm x 200 cm, 180 cm x 200 cm oder 100 cm x 190 cm breite Betten zu Hause hat. Tja und ist der Kunde erst mal draussen, sehe ich ihn meist nie wieder!”

Diese Unsicherheiten während des Kaufprozesses zeigen, wie wichtig das Verständnis der Kundensicht ist und weshalb der Bereich Customer Insights so relevant ist. In unserem Growth Ambassador Programm thematisieren wir sowohl in Videokursen von unseren Expert:innen als auch in Meetups mit unserer Community, welche Methoden angewendet werden können, um die Kunden zukünftig besser zu verstehen und Probleme aufzudecken.

7 Vorschläge zum Nachmessen

Leider ist das “Convinience-Problem”, die Hürde sich den Zollstock zu besorgen oder sich die Daten irgendwo zu notieren wohl manchmal zu groß. Ob Großbildfernseher, Hüte, Mode, Teppiche, Einbaukühlschränke, Lampen, Möbel oder alles andere, was mit Größen zu tun hat scheitert häufiger als gedacht an der mangelnden Größen-Sicherheit: “Passt das Teil bei mir ins Zimmer? Ist die Hose zu kurz? Bekomme ich das Sofa durchs Treppenhaus?” Folgende Möglichkeiten helfen den Kunden Sicherheit bei der Bestimmung und Einschätzung von Größen und Dimensionen zu bekommen, ohne das es zu unbequem für den Käufer ist:

1) Größenreferenzen schaffen mit Raumbildern:

Frei gestellte Objekte haben ihren ganz besonderen Platz und sind auch unter bestimmten Bedingungen konversionsförderlich. Zur Dimensionsbestimmung bedarf es also noch einer weiteren Abbildung. Z.B. kann der Gegenstands in einen Raum mit gewissen Normgrößen platziert werden, als Hilfsmittel könnte dabei z.B. ein Türrahmen gelten. Nachteil: Wer in einem Frankfurter oder Berliner Altbau mit 3 Meter hohen Türen wohnt, kann schnell den falschen Eindruck gewinnen.
Raumdimensionen

2) Größenreferenzen schaffen mit “Humanmaßen”

Darstellung eines normal großen Menschen oder Gliedmaßen eines Menschen neben das Produkt z.B. eine Hand um die Größe des Schmucks zu beschreiben. Dadurch bekommt es quasi seine “menschliche” Dimension zurück. Nachteil: Menschen lenken ab. —> siehe Artikel “Gefahr durch Augen…”
Humanmaße

Für die schon oben erwähnte Vergleichbarkeit mit echten Menschen stellt Brands4friends die Größe der Modells auf seine Produktdetailseite. Eine Idee, die besonders Frauen sehr schnell ein sicheres Gefühl für den Größenvergleich gibt.
Brands4friends

3) Größenreferenz durch “bekannte” Dinge

Darstellung von bekannten Produkten neben das zu verkaufende Produkt:

iphone

Das bekannte Apple iPhone neben den unbekannten teuren Armreif, ein Streichholz oder eine Colaflasche auf dem Tisch. Nachteil: Wenn man es ungeschickt anstellt lenken diese Produkte ebenfalls ab.

Cola
Die bekannte Cola-Flasche dient als Größen-Referenz. Man muss jetzt nur noch erklären warum da eine Cola-Flasche im Bild steht.

4) Die “guten alten” Ausdrucke

Tja, die gibt’s natürlich auch noch. Unter bestimmten Bedingungen sollten auch Ausdrucke in Normgröße weiterhelfen. Das gilt z.B. für Schmuckstücke (z.B. Ring-Durchmesser) und alles was unterhalb einer DIN A4-Größe liegt. Bei Brille24.de dient ein solcher Ausdruck z.B. zur Messung des Augenabstands.

5) Augmented Reality

Augmented Reality – laut Wikipedia die “computergestützte” Erweiterung der Realitätswahrnehumg” – ist interessanterweise noch nicht so weit, wie ich vor 2 Jahren noch vermutet hätte, obwohl es das Vergleichs-Problem absolut überzeugend und nachhaltig lösen kann. Shop-Seiten wie die portugiesische Timex Page zeigen, wie mit Hilfe von Platzhalterobjekten in einer real fotografierten Umgebung Produkte virtuell dargestellt werden.

Timex

Bezogen auf die Verminderung der Kaufdemotivation ist augmented reality ein probates Hilfsmittel um die heimische Umgebung mit dem noch unbekannten Produkt in Einklang zu bringen. Den Möglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt, bei dem oben schon genannten Shop von Brille24.de lassen sich nach dem upload des eigenen Fotos alle Brillen ins eigene Gesicht projektieren, auch hier gilt, die Maße bestimmen das Aussehen. Solche Systeme sind auch in der Lage, neben der Größe Licht und Schattenberechnungen des Objekts innerhalb der aufgenommenen Umgebung durchzuführen, d.h. sie helfen dem Kunden einen absoluten perfekten Eindruck ihres Wunschproduktes zu gewinnen. Das größte und teuerste Problem ist z.Zt. noch das Erstellen 3-Dimensionaler Objekte aus der bestehenden Produktpalette eines Shops. Mal sehen wann wir hier einen Kosten/Nutzen-break-even erleben dürfen …

6) Denken Sie wie ein Mann – messen Sie wie ein Mann

OK. Es ist wahr. Manche Männer haben kein flexibles Maßband zu Hause. Dafür vielleicht noch einen Zollstock. Also wenn man nicht weiß, ob man die Größe 54 oder die 102 hat :-), kann man den Kunden bitten seine ihm passende Hose mit einem Zollstock auszumessen und die entsprechende Werte in ein Umrechnungsbox einzutragen. Klingt blöd, funktioniert aber.

7) Messdiener – die kommerzielle Vermessung der Welt

In der Zukunft werden wir sicher noch einige neue Dienstleister wie UPcload kennenlernen, die recht einfache und sichere Möglichkeiten zur Eigenvermessung anbieten. Dazu gibt es natürlich 3D Körperscanner und ähnliches in der Entwicklung. Wohlmöglich klingeln demnächst sogar Messfirmen an Haustüren um Wohnung, Haustiere und Küchen zu vermessen um angeschlossenen Shops mit Erlaubnis der Gemessenen die Angebotspalette ohne Angst vor falschen Größen anbieten zu können.

Fazit

Aufmerksame Leser werden feststellen, dass seine Ursprungsfassung dieses Blog-Posts bereits 2010 erschienen ist. An den grundsätzlichen Problemen hat sich in dieser Zeit nichts geändert, leider ist auch bei den “Lösungen” nicht wirklich viel geschehen. Bei der Arbeit, speziell bei Fashionshops konnten wir immer wieder feststellen: Je mehr Sicherheit man Kunden in Sachen Größe, Maße, Passgenauigkeit man geben kann, desto höher ist die Conversion.

Alle Grafiken: Thomas Pusch, Web Arts AG

Über den Autor

Mitarbeiter Matthias Henrici

Mitarbeiter

Matthias Henrici ist eCommerce-Mann der ersten Stunde. Bereits Anfang der neunziger Jahre entwickelte er wertschöpfende Multimedia-Projekte u.a. für deutsche und internationale Unternehmen. Seit 11 Jahren lehrt er als Dozent für Usability und Neuro-Marketing an deutschen Hochschulen. Matthias Henrici auf XING
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3 Kommentare

  1. Gravatar

    olafkolbrueck,

    Größentabellen würden mir schon genügen, wenn – und da beginnt vielfach das Convenience-Problem – sie dann leicht und schnell auf der Seite zu finden werden. Da wird der Webshop am Bedürfnis der Kunden vorbei-designt. Auch an dem der Händler. Denn die haben nicht nur die Kaufabbrüche, sondern auch die Retouren, weil nicht klar wurde, ob das XL nun eine 52 ist.

  2. Gravatar

    Olga,

    Teile völlig alle erwähnten Aspekte, die als entscheidende Unsicherheitsfaktoren gelten. Ich würde noch hinzufügen, dass es zweckmäßig wäre, die Größen für jede einzelne Ware anzudeuten, besonders wenn diese den allgemein genommenen nicht entsprechen. Das ist auch mit Onlineshop-Usability sehr eng verbunden

  3. Gravatar

    Murat,

    Das ist echt schwierig mit dem schätzen von Grössen. Bin auch schon krass daneben gelegen.
    Was ist aber super find, sind die Vergleichsangaben mit dem abgebileten Modell. Da kann ich mit meinen Kollegen gleich ein Modellquartett spielen 🙂
    Zum Thema Kollege: Einer lernt Schreiner und hat doch kürzlich seine Hosen, weil die alten total kaputt waren, mit einem Laser-Dings ausgemessen; so cooles Gadget: laserentfernungsmesser-test.de Voll die Laser-Kanone

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