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Warum mentale Agilität der Kern erfolgreicher Optimierung ist: Dr. Nicole Lipkin im Interview

Julia Rumpf
 Lesezeit: 12 Minuten    
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Veränderung beginnt im Kopf. Wenn wir etwas optimieren wollen, müssen wir bei uns selbst anfangen. Dabei gilt es, eigene Stärken zu erkennen, aber vielmehr noch Schwächen zu identifizieren und in Erfolge zu verwandeln. Nur, wenn wir offen für Veränderung sind und keine Angst vor Fehlern haben, können wir wirklich etwas bewegen und besser werden. Denn Optimierung bedeutet immer Weiterentwicklung.

Dr. Nicole Lipkin, Organisationspsychologin und Bestseller-Autorin, zeigt am 3. September auf dem growth marketing SUMMIT, warum “Mentale Agilität” der Kern exzellenter Führung und einer jeden erfolgreichen Optimierung ist. Vorab tauschte sie sich mit André Morys in einem Video-Interview über ihr Thema aus.

Schau dir das vollständige Video an (Englisch) oder lies das Interview (Deutsch).


André Morys:. Nicole, du bist eine sehr bekannte Expertin auf dem Gebiet der mentalen Agilität und wir sind wirklich froh, dass wir Leute haben, die nicht nur über Erfolgsfaktoren wie Tools und A/B-Tests sprechen, sondern auch darüber, wie alles im Kopf der Menschen beginnt. Also: schön, dich hier zu haben.

Dr. Nicole Lipkin: Ja, wirklich toll, hier zu sein. Vielen Dank für die Einladung!

Das Konzept der mentalen Agilität

André Morys: Lass uns in das Thema mentale Agilität eintauchen. Du hast zwei erfolgreiche Bücher geschrieben, du bist Coach, Trainerin und Psychologin. Kannst du uns das Konzept der mentalen Agilität erklären und warum es so wichtig ist? Besonders für Führungskräfte. Jeder spricht von Führung 4.0. Ich weiß gar nicht, wo 3.0 war.

Dr. Nicole Lipkin: Ich kenne weder 3.0, 2.0 oder 1.0. Mentale Agilität ist der Kern von allem, was wir tun. Und ich spreche nicht von mentaler Agilität auf traditionelle Weise. Was ich meine, ist das Training unseres Gehirns, unseres Geistes, der Art und Weise, wie wir die Dinge angehen, um offen und flexibel zu sein und verschiedene Perspektiven einzunehmen.

Wenn wir mental nicht agil sind, sperren wir uns für viele Möglichkeiten und verpassen viele Chancen. Und wenn du darüber nachdenkst, war die Ursache für Kriege und für alle Konflikte schon immer die Einstellung der Gesellschaft und die menschliche Natur, im Allgemeinen abgeschottet, voreingenommen und nicht offen zu sein. 

Das ist die Wurzel menschlichen Elends, wenn man so darüber nachdenkt. Unser natürlicher Zustand ist es, nicht agil zu sein, den Status Quo und das Gleichgewicht zu erhalten. Und dafür brauchen wir viel Energie.

André Morys: Auf dem growth marketing SUMMIT wirst du ein paar Hunderte Optimierer treffen, einige der besten. Wenn wir Dinge optimieren, wollen wir immer etwas ändern.

Die erste Antwort, die wir als Optimierer nicht mögen, ist: “Oh, das können wir nicht machen.” Stimmt’s? Wir wollen Value Propositions auf Websites platzieren und bekommen dann oft die Antwort: “Ja, das haben wir schon einmal versucht. Es funktioniert nie.” Wie kann man damit umgehen?

Dr. Nicole Lipkin: Richtig. Nun, das ist interessant. Denn es beginnt alles bei dir, bei deiner Denkweise. Es beginnt alles mit den Menschen. Es ist nicht so, dass sich die Dinge ändern. Es ist so, dass wir uns anpassen müssen und ändern müssen. Aussagen wie “Das wird nicht funktionieren” sind sichere Anzeichen dafür, dass es an mentaler Agilität mangelt. Wenn es darum geht, Menschen zu helfen und weiterzubewegen, geht es immer darum, Fragen zu stellen, die provokativ genug sind, um die Person aus diesem Zustand herauszubekommen.

 

Was ist das schlimmste, das dir passieren kann?

Dr. Nicole Lipkin: Wir müssen uns zwingen, darüber nachzudenken: “Okay, wenn wir das machen, was ist das Schlimmste, das passieren kann?”  Denn normalerweise ist es in unserem Kopf viel schlimmer als in der Realität.

André Morys: Es ist gut, dass du das Thema an Führungskräfte richtest. Ich denke, wir alle wissen, dass es wichtig ist, mit Führungskräften zu beginnen und sie in die Lage zu versetzen, anders zu denken. Aber was ich immer häufiger sehe: Je größer das Unternehmen, desto starrer sind die Denkweisen. Es fehlt an Flexibilität.

Dr. Nicole Lipkin: Das stimmt. Und das ist so traurig. Wenn man sich Fallstudien ansieht, sind einige der größten Unternehmen dadurch zu Fall gebracht worden. Sieh dir Kodak an. Wir alle kennen diese Fallstudie, oder? Sie kamen mit der ersten Digitalkamera in den 70er Jahren heraus. Sie hatten alle nötigen Ressourcen.

Aber es waren Sony, die sie für den Massenmarkt rausgebracht haben. Warum? Weil es die gleichen alten Leute im gleichen alten Sitzungssaal waren, die die gleichen alten Entscheidungen getroffen haben. Schau dir Borders an und den Buchmarkt. Als Amazon die Welt eroberte, sagten Barnes & Nobles: “Wir konzentrieren uns auf unsere Online-Strategie.” Borders sagte: “Lasst uns die Dinge so machen, wie wir sie immer gemacht haben.”

Es ist leider sehr üblich, dass wir einfacher im Status Quo bleiben, wenn wir im gleichen alten Sitzungssaal sitzen, mit den Leuten, die immer gleich nicken, sich auf die Schulter klopfen und dich vom Status Quo überzeugen. So läuft das. Und das kostet Energie.

Wenn man darüber nachdenkt, kommen einem auch Gefühle wie Angst in die Quere. Wenn wir die Dinge in unseren Köpfen lassen, anstatt sie auszusprechen, über Worst-Case-Szenarien zu sprechen oder wirklich darüber nachzudenken, was das Schlimmste ist, das passieren kann – wie sollen wir Menschen dann verändern und bewegen?

Deine Amygdala, dein limbisches System, das emotionale Zentrum deines Gehirns, übernimmt dein logisches Denken. Oftmals hängen wir fest in unserem Denken – aber es gibt so viele Techniken und Wege, da rauszukommen und agiler zu werden.

André Morys: In deinem Vortrag wirst du also einige Geheimnisse preisgeben, wie man damit umgehen kann. Das, was du sagst, erinnert mich daran, warum starke Führungskräfte wie Steve Jobs, Jeff Bezos, Elon Musk den Status Quo nicht akzeptieren.

Als ich die Steve Jobs Biographie las, dachte ich: “Oh mein Gott, dieser Kerl, er hat es einfach nicht akzeptiert, als ihm die Leute sagten, dass es nicht funktionieren würde.”

Dr. Nicole Lipkin: Absolut richtig. Und das erfordert viel – das ist eine agile Denkweise. Aber das ist schwer und man muss sich oftmals zwingen, immer wieder zu hinterfragen, wie man selbst denkt und wie andere denken.

Kenne deine Schwächen, um deine Erfolge zu steigern

André Morys: Du sagst auch – das habe ich in einem Blogbeitrag gelesen – “Du musst deine Schwächen kennen, um deinen Erfolg zu steigern.” Warum? Ist das nicht diese typische Frage, die man in einem Vorstellungsgespräch bekommt? “Erzählen Sie uns mehr über Ihre Schwächen, und seien Sie ganz ehrlich”. Also, was bedeutet das in Wirklichkeit?

Dr. Nicole Lipkin: Ich bin fest davon überzeugt, dass man sich darüber im Klaren sein muss und bewusst an seinen Schwächen arbeiten muss. Ich denke, eines der Dinge, die unbeabsichtigt passieren – gerade wenn wir von Führungskräften sprechen und dem Boom von positiver Psychologie – ist der riesige Fokus auf unsere Stärken, nicht auf unsere Schwächen.

Dass du deine Schwächen ignorieren und dich auf deine Stärken konzentrieren solltest. Ich bin komplett anderer Meinung. Hier ist eine Analogie, die ich an der Stelle gerne verwende. Wenn ich zum Beispiel einen wirklich starken rechten Bizeps und einen wirklich schwachen linken Bizeps habe, bevorzuge ich natürlich meinen rechten Bizeps, wenn ich meine Einkäufe nach Hause trage.

Aber mit der Zeit, weil ich immer nur meine rechte Seite bevorzugt habe, bekomme ich Rückenschmerzen – und plötzlich wird meine linke Seite zur Achillesverse, weil ich mich auf nie konzentriert habe.

André Morys: Deine Wirbelsäule sieht also aus wie ein S.

Dr. Nicole Lipkin: Richtig. Wenn wir also unsere Schwächen ignorieren, werden sie zur Achillesverse. Und die Sache ist die: Ich könnte die einfühlsamste, mitfühlendste Person auf dem Planeten sein. Aber so wie das meine Stärke sein könnte, könnte es meine Schwäche sein, dass ich ungeduldig bin.

Wirst du dich daran erinnern, dass ich mitfühlend und empathisch bin, wenn dich meine Ungeduld in den Wahnsinn treibt?

Du wirst dich immer an die Schwächen erinnern. Als Führungskräfte, als Unternehmer, als Menschen sind wir es also uns selbst schuldig, uns auch auf unsere Schwächen zu konzentrieren. Natürlich konzentrieren wir uns auch auf Stärken, aber nicht indem wir Schwächen ignorieren und Entschuldigungen benutzen wie: “Oh, das wird sich nie verbessern.” Das ist genau der Mangel an mentaler Agilität, von dem wir gesprochen haben.

Wir können immer besser werden. Wir bilden immer neue neuronale Verbindungen bis zu dem Tag, an dem wir sterben, es sei denn, es gibt ein neurochemisches Problem im Gehirn. “Alten Hunden kannst du keine neuen Tricks beibringen” ist daher schlichtweg eine Lüge. Wir können uns immer weiterentwickeln. So kann ich ständig an meiner Ungeduld arbeiten und kann das nie als Entschuldigung benutzen.

Die Kraft deiner Teams nutzen

André Morys: Du musst dir dessen bewusst sein, denn wenn du erfolgreiche Teams aufbauen willst, funktioniert dies nur, wenn du die ganze Kraft in deinen Teams hast. Und die Stärke aller Teammitglieder kann nur funktionieren, wenn sich alle im Team ihrer Stärken und Schwächen bewusst sind.

Sie müssen in der Lage sein, Ratschläge von denen anzunehmen, die vielleicht dort eine Stärke haben, wo sie selbst eine Schwäche haben. Wenn mir jemand einen Rat gibt, denken viele Leute mit dem falschen Mindset direkt, dass es Kritik ist – aber das ist es nicht.

Dr. Nicole Lipkin: In meinem Unternehmen sind wir alle Organisationspsychologen, wir beraten Organisationen zur Führungskräfteentwicklung. Wir alle sind uns der Stärken und Schwächen des anderen sehr bewusst. Wir kommunizieren ständig darüber.

Wir holen Kollegen ins Boot, wenn wir merken, dass jemand anders besser für eine Aufgabe geeignet ist. Und wenn wir das nicht bei uns selbst ausprobieren, wie sollen wir dann andere Führungskräfte coachen und entwickeln, dasselbe zu tun?

Es ist schwer. Es macht dich defensiv. Aber was nützt es letztendlich, auf dieser Erde zu leben, wenn wir uns nicht ständig weiterentwickeln? Was nützt es, wenn man durchs Leben geht und denkt, dass man perfekt ist?

André Morys:  Also keine Evolution, wenn wir keine Schwächen akzeptieren?

Dr. Nicole Lipkin: Ja, du musst an ihnen arbeiten. Es macht Spaß!

Konkrete Ansätze für Optimierer

André Morys: Was können Optimierer konkret tun kann, um all diese Probleme zu überwinden? Kannst du uns das sagen? Es gibt Menschen, die am Fortschritt arbeiten und Menschen, die Dinge ändern wollen, und die so oft mit der Realität konfrontiert werden, in der andere Menschen sagen: “Das funktioniert nicht, das kannst du nicht machen.” Was ist ein erster Ratschlag von dir? Ein kleiner Appetithappen sozusagen.

Dr. Nicole Lipkin: Ich möchte gern zu dem zurückkehren, was das Schlimmste ist, das passieren kann, okay? Wir nutzen das Prinzip, wenn wir in die verschiedenen Ebenen unseres Denkens eintauchen, so als ob wir einzelne Schichten einer Zwiebel abschälen. Um damit den Menschen zu helfen, zu verstehen, wie sie selbst denken.

Deshalb möchte ich noch einmal darauf zurückkommen, weil ich denke, dass es eine einfach zu erlernende Fähigkeit ist. Jemand sagt dir: “Nein, das können wir nicht tun. Das geht nicht. Das ist lächerlich usw.”

Und du entgegnest: “Okay, in Ordnung. Ich verstehe dich. Lass uns auf dem Whiteboard festhalten, was das Schlimmste ist, das passieren kann. Lass uns aufschreiben, was passieren kann, um es dann Punkt für Punkt durchzugehen.

Und während wir alles aufschreiben, gehen wir tiefer hinein in das: “Was ist das Schlimmste, was hier passieren kann?”. Wir werden schnell merken, dass wir uns von unserem ursprünglichen Denken lösen und nicht alles davon rechtfertigen können. Deshalb möchte ich dort anfangen, weil das wahrscheinlich das einfachste ist.

Umgang mit Angst

André Morys: Das ist gut. Das ist brillant. So gehen Psychologen mit der Angst um, nicht wahr? Du fragst: “Was ist das Schlimmste, was passieren kann?” Also, es geht nur darum? Umgang mit der Angst vor anderen.

Dr. Nicole Lipkin: Es geht um die Angst vor sich selbst. Angst, dass man versagt. Wie immer haben wir so viel Angst, es zu vermasseln – und die Frage ist wirklich, was ist das Schlimmste, was passieren kann? Okay, zu einem Chirurgen in der Notaufnahme würde ich das nicht sagen.

Oder bei einem Feuerwehrmann, weil es dort wirklich zu ernsthaften Problemen führen könnte. Aber wenn wir von der allgemeinen Bevölkerung ausgehen und solange das Leben von niemandem in Gefahr ist: was ist das Schlimmste, das passiert, wenn wir es versuchen?

André Morys: Das ist eine brillante Frage. Das sollte also im Repertoire aller Optimierer stehen, wenn sie mit dem Widerstand gegen Veränderungen, konfrontiert werden.

Vielen Dank, Nicole. Das macht absolut Sinn – ich weiß jetzt, warum Start-Ups sich nicht mit diesen Problemen befassen müssen: sie haben nichts zu verlieren. Wenn man bei Null anfängt, gibt es nichts, was man verlieren kann. Also, alles ist erlaubt, aber wenn Unternehmen größer werden und mehr Richtlinien haben und lernen, was funktioniert, versuchen sie, Risiken zu vermeiden. Also ändern sie die Dinge.

Dr. Nicole Lipkin: Richtig. Aber eigentlich bin ich anderer Meinung als du. Ich denke, auch Start-Ups haben diese Probleme. Denn es sind die Menschen, die in Start-Ups arbeiten. Menschen mit bestimmten Vorstellungen. Ich denke, dass man auf der einen Seite Leader in Start-Ups haben kann, die super offen und flexibel sind.

Aber es geht nicht nur um die Führungskräfte. Es sind die Menschen, die als Team zusammenkommen und den Mangel an Agilität hervorrufen können.

André Morys: Basierend auf den Erfahrungen, die sie bis dahin gemacht haben und was sie mitbringen.

Dr. Nicole Lipkin: So wie: “So muss es sein, und das ist die Struktur, die wir brauchen usw.” Ich denke, dass Start-Ups besonders hilfreich sind, wenn es darum geht, Menschen dabei zu helfen, diese Barrieren zu überwinden und super agil zu sein, weil es keine andere Art von Unternehmen gibt, das diese vollständige Offenheit gegenüber Veränderungen erfordert.

André Morys: Verstanden. Gerade ist mir klar geworden, warum Jeff Bezos diesen Brief am ersten Tag geschrieben hat und warum jeder diese Art von Agilität behalten muss.

Dr. Nicole Lipkin: Ja, auf jeden Fall.

André Morys: Vielen Dank. Ich bin sicher, dass dein Vortrag für uns alle sehr aufschlussreich sein wird.  Danke, Nicole. Wir sehen uns im September in Frankfurt.

Dr. Nicole Lipkin: Ich freue mich sehr darauf.. Bis bald!

 

Über den Autor

Julia Rumpf

Business Owner growth-minded SUPERHEROES

Als Business Ownerin hält Julia alle Fäden der GMS (growth-minded SUPERHEROES) zusammen - von der Planung, über die Wirtschaftlichkeit bis hin zur reibungslosen Umsetzung (glänzende Augen der Teilnehmer:innen inklusive!). Sie sorgt dafür, dass unser Flagship-Event für Experimentation, CX und Growth Marketing einzigartig und führend bleibt. Ihr Anspruch ist es dabei, die weltweit besten Expert:innen auf einem Event zu vereinen, handverlesene strategische als auch hands-on Inhalte zu vermitteln und Optimierer:innen einen Raum für Networking zu geben, der seinesgleichen sucht. Julia profitiert in dieser Rolle von ihrer jahrelangen Erfahrung im Online- und Growth-Marketing als auch von der Moderation und Organisation virtueller Eventformate. Sie arbeitet eng mit den unterschiedlichen Disziplinen des konversionsKRAFT-Teams zusammen, damit die GMS auch in Zukunft “handgemacht” bleibt.
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