Behavioral Science

Metaanalyse Behavior Patterns: Auswertung aus über 10 Jahren des Experimentierens

Ilja Gurevich
 Lesezeit: 9 Minuten    
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Konsumpsychologische Maßnahmen im Einzelhandel, wie etwa die Wirkung tiefer Einkaufswagen, die Anordnung von Produkten oder die Hintergrundmusik, werden seit Jahrzehnten wissenschaftlich betrachtet. Doch eine datengetriebene Analyse der Wirksamkeit von Behavior Patterns im E-Commerce scheint noch keinen Raum für eine Untersuchung gefunden zu haben. Im Rahmen meiner Masterarbeit haben wir uns der Aufgabe gewidmet, erstmalig Verhaltensmuster anhand aller von konversionsKRAFT durchgeführten Experimente zu analysieren. 

In diesem Artikel teile ich Erkenntnisse aus der Metaanalyse zu ausgewählten Behavior Patterns, samt ihrer Wirkungsstärke, geeigneter Kombinationen und Unterschiede zwischen Branchen und Seitentypen.

Der rational handelnde Kunde ist überholt

Die Ernüchterung vorweg: einen magischen Kaufknopf im Gehirn deines Nutzers oder die allgemeingültige Formel für den erfolgreichen Einsatz von Behavior Patterns gibt es (leider) nichtAuch lassen sich die hier geteilten Erkenntnisse nicht pauschal für jede Optimierung replizieren und die Abgrenzung einzelner Behavior Patterns ist nicht immer trennscharf gegeben – doch für dieses Problem haben wir eine Lösung entwickelt, die wir auf dem nächsten growth marketing SUMMIT präsentieren werden.

Erfolgreiche Optimierer haben es verstanden, dass die Behavioral Science einen unabdingbaren Bestandteil für nachhaltiges Wachstum darstellen. Aufgabe des Optimierer ist es, Heuristiken und kognitive Verzerrungen – im Marketing besser bekannt unter dem Sammelbegriff Behavior Patterns – wie ein guter Dirigent zu orchestrieren. Wer diese richtig einsetzt, bewegt seine Kunden nahezu hypnotisch zum Checkout seines E-Commerce Shops.

Doch stimmt das überhaupt?

Wie wir im Grundlagenartikel zu den Behavioral Science festgehalten haben, ist die Vorstellung eines rational handelnden Kunden aus der Sichtweise der Ökonomie längst überholt. Den Großteil unserer Entscheidungen treffen wir irrational, auf Basis sogenannter Heuristiken und kognitiven Verzerrungen. 

Ich gehe an dieser Stelle davon aus, dass du bereits Kenntnisse zu Heuristiken, kognitiven Verzerrungen und Stimuli besitzt. Für einen Kurzeinblick zum Stimulus-Organismus-Response-Modell und Behavior Patterns kannst du 🔽.

Heuristiken lassen sich als Daumenregeln umschreiben, mit denen unser Gehirn effizient, aber dafür nicht immer optimal, Entscheidungen trifft. Kognitive Verzerrungen resultieren aus Heuristiken und sind systematisch fehlerhafte Neigungen der Wahrnehmung, des Denkens und schließlich des Urteilens. Bestimmt hast du im IKEA bereits mehr gekauft, als nur die beabsichtigten Teelichter oder ein neues Smartphone erworben, obwohl das alte doch noch alle Bedürfnisse erfüllte. Im Marketing hat sich der Terminus Behavior Patterns als Sammelbegriff für diese psychologischen Fachausdrücke etabliert. Zumal die Unterscheidung zwischen Heuristiken und kognitiven Verzerrungen in der Literatur nicht trennscharf ist.

Wie hilft uns dieses Wissen nun weiter? 

Durch die Kenntnis von Behavior Patterns können Entscheidungen unbewusst durch die richtigen Stimuli unterstützt und teilweise gelenkt werden. 

Zur Veranschaulichung hilft uns das Stimulus-Organismus-Response-Modell (SOR-Modell).

SOR-Modell – Einsatz von Behavior Patterns in der Conversion Rate Optimierung

Vereinfacht gesagt, stellt beim Experimentieren der Stimuli die Änderung auf der Seite dar. Um geeignete Stimuli zu identifizieren ist eine Bedürfnisanalyse der Zielgruppe unverzichtbar. Im Gehirn – im Modell der Organismus – werden daraufhin im besten Fall die beabsichtigten Behavior Patterns aktiviert. Die Response ist schließlich das Ergebnis, dass wir in Experimenten messen und mit Daten abbilden können.

Auf Basis eines geeigneten Analysemodells lassen sich die Kundenbedürfnisse evaluieren und darauf aufbauend Hypothesen mit dem Einsatz von Behavior Pattern aufstellen. 

Noch besser wäre es, hätte man bereits Referenzwerte, wie die Erfolgsquoten und Effektstärke der Behavior Patterns (dazu gleich mehr) in vergleichbaren Testumgebungen ausfallen, nicht wahr?

Behavior-Pattern-Destillat aus über 10 Jahren Experimentierens

Vereinzelt findet man Quellen mit Aussagen zur Wirksamkeit von Behavior Patterns, die allerdings nicht mit Daten belegt worden zu scheinen. Daher gehen wir hier einen Schritt weiter.

Was haben wir gemacht und was werde ich dir gleich präsentieren?

Metaanalyse: Die Menge an Experimenten, die konversionsKRAFT seit über 10 Jahren durchgeführt hat, birgt großes Potenzial jene Effekte mit realen Daten zu belegen. Für die Metaanalyse wurden alle ausreichend dokumentierten Experimente rückwirkend ab 2010 anhand eines aufgestellten Modells erfasst und aufbereitet. 

Datengrundlage & Branchen: Die Stichprobe enthält eine breite Auswahl an verschiedenen Kunden, Branchen und Seitentypen. Größere Datenmengen liegen für die Fashion-, Automobil-, Finanz- und Tourismus-Branche vor. Im Zuge der Analyse sind wir auf deutliche Unterschiede innerhalb von Branchen, Seitentypen und Kunden-Personae gestoßen. Da die Zahlen vertrauliche Informationen enthalten, werden keine Rohdaten aus Experimenten publiziert.

Erfolgsbewertung: Da der Uplift als Kennzahl keine vergleichbare Metrik darstellt (der reine prozentuale Unterschied zwischen zwei Conversion Rates berücksichtigt nicht die Streuung – ein ausführlicher Beitrag folgt dazu demnächst), wurde für jedes Experiment die Effektstärke ermittelt, sowie eine einfache Erfolg-versus Misserfolg-Betrachtung aufgestellt. Die Effektstärke bezeichnet die Größe eines statistischen Effekts. In dem Fall wurde die Effektstärke d nach Cohen verwendet und eine alternative Interpretationsskala zur Bewertung der Effekte definiert.

Synergien, Branchen- und Seitentyp-Auffälligkeiten: Ich habe mir zusätzlich angeschaut, welche Synergien man nutzen sollte – sprich welche Kombinationen von Behavior Patterns besonders stark wirken. Zudem konnten bei ausreichender Stichprobengrößen auch Auffälligkeiten zwischen verschiedenen Seitentypen und Branchen bestätigt werden.

 


Statt uns zu lange mit statistischen Details aufzuhalten, schauen wir uns ein paar ausgewählte Analysen zu Behavior Patterns und Ableitungen zur praktischen Umsetzung an.

 

Trust – wir sind vorsichtige Käufer

Trust Pattern

Trust

Vertrauen ist eines der stärksten psychologischen Motive für Entscheidungen. Wird Vertrauen in jemanden gesetzt, werden ihm eher positive Eigenschaften zugeschrieben. Vertrauen wird durch Transparenz, Ehrlichkeit, Autoritäten und soziale Bewährtheit erzeugt.

Ob der Website-Besucher deinem Angebot oder Shop vertraut, kann einen entscheidenden Grund für oder gegen einen Kauf darstellen. Nicht umsonst enthält auch das 7-Ebenen-Modell Vertrauen als separate Ebene zur Analyse von E-Commerce Seiten. 

Hinzu kommt, dass der DACH-Bereich zu den vorsichtigsten Nutzern weltweit gehört. Insbesondere bei wichtigen Kaufentscheidungen sucht dein Kunde nach Signalen, die eine Einschätzung der Seriosität des Shops indizieren. In der Praxis bedeutet dies Gütesiegel oder anerkannte Zertifizierungen einzusetzen.

In der Metaanalyse kannst du sehen, dass Trust-Elemente in CRO-Experimenten insgesamt einen kleinen Effekt aufweisen, aber auffällig besser in Kombination mit dem Behavior Pattern Authority funktionieren. Der Authority Bias beschreibt das Phänomen, der Meinung oder Aussage von Autoritätspersonen ein höheres Vertrauen zu schenken.

Der Erfolg von Trust-Elementen hängt auch vom Reifegrad deines Unternehmens ab. Bei Versandhändlern wie Amazon oder OTTO sind die Sorgen gegenüber der Seriosität des Angebots selten gegeben, wohingegen bei unbekannten Shops explizit nach dem Impressum und Trust-Signalen gesucht wird.

 


Value – mit Mehrwert überzeugen

Value Pattern

Value

Ein einziges Argument, das einen persönlichen Mehrwert bietet, kann stärker sein, als viele generische Argumente. Zu viele Versprechen können hingegen verwirren. Menschen nehmen insbesondere wahr, was ein Angebot zu etwas Besonderem macht.

Der gute Verkäufer stellt seinem potenziellen Kunden Fragen.

Er will seine Realität verstehen und darauf aufbauend die relevanten Vorteile seines Angebots, als Argumente nennen. Im Online-Shop entfällt meistens die direkte Kommunikation mit dem Endkonsumenten, nicht umsonst messen wir der Personalisierung daher einen hohen Stellenwert bei.

In der Metaanalyse zeigt das Behavior Pattern Value einen mittelstarken Effekt. Generalisten und die Tourismus-Branchen weisen schwächere Erfolgsquoten auf. Synergien sind bei der Kombination der Prinzipien Value und Implicit Signals – also Farben, Formen, Texte oder andere Elemente, die implizit eine Botschaft transportieren können – nachweisbar.

Finde heraus, was besonders für deine Zielgruppe wichtig ist und kommuniziere daraus ableitend relevante Vorteile. Die Limbic Map® ist ein beispielhaftes Vorgehen zur Einordnung deiner Kunden, woraus sich übrigens auch Aussagen zu Farbwelten u.Ä. für den Einsatz von impliziten Signalen ableiten lassen.

 


Scarcity – Angst zeigt wenig Erfolg

Scarcity Pattern

Scarcity

Wenn etwas sehr knapp ist oder zeitlich begrenzt zur Verfügung steht, erzeugt dies deutlich mehr Aufmerksamkeit. Es wirkt wertvoller und erhöht die Motivation, sich jetzt dafür zu entscheiden, bevor es ein anderer tut.

Die (künstliche) Verknappung gehört zu den am häufigsten genannten Methoden aus der Konsumpsychologie, um den Kunden zum Kauf zu überzeugen. Nicht zuletzt trägt mit Sicherheit auch Booking.com als Paradebeispiel der mengenmäßigen und zeitlichen Verknappung seiner Angebote auf.

Die überraschende Erkenntnis: Scarcity weist in der Stichprobe lediglich einen kleinen Effekt auf. Auffälligkeiten zu Synergien oder Branchen-Insights sind nicht ersichtlich.

Woran könnte das liegen? 

Ein Aspekt beim schnelllebigen Online-Shopping ist der Komfort – so wird dieser auch als Ebene im 7-Ebenen-Modell betrachtet. 

Sobald dem Nutzer signalisiert wird, dass er mit einer Verknappung unter Druck gesetzt wird, sind zwei Reaktionen denkbar: 

  1. dein Besucher möchte das Produkt unbedingt haben und kauft es besser sofort, bis es vergriffen ist 
  2. dein Besucher fühlt sich unnötig unter Handlungsdruck gesetzt, weil er das Angebot genauso gut woanders beanspruchen kann oder noch gar nicht endgültig überzeugt war

Deine Nutzer unter Druck zu setzen solltest du dir gut überlegen!

Sieh dir am besten vorher auch unser überzeugungsKRAFT Video über künstliche Verknappung an.

 


Cheering – durch Anfeuern zu mehr Kaufabschlüssen

Cheering Pattern

Cheering

Es ist motivierend, bereits während einer Aufgabe positive Rückmeldung zu erhalten und zu sehen, dass alles richtig gemacht wurde.

Herzlichen Glückwunsch! Wenn du bis hierhin gelesen hast, verfügst du über einen erheblichen Optimierer-Wissensvorsprung. Anfeuern hat nicht nur im Sport eine positive Auswirkung (es gewinnen beim Fußball bekanntlich oft die Mannschaften mit Heimvorteil), sondern auch im E-Commerce. 

Das Behavior Pattern Cheering weist in der Metaanalyse eine mittelstarke Effektgröße auf. Noch bessere Ergebnisse erzielten Experimente in der Kombination mit dem Behavior Pattern Completion (hier findest du ein ausführliches überzeugungsKRAFT Video zu Completion). Auch wirkten Experimente mit Cheering im Checkout-Prozess besser als auch Produktdetailseiten.

Positives Feedback kann in Form von Meldungen wie “Gute Wahl!” oder “Dein Einkauf ist für den kostenlosen Versand qualifiziert” im Warenkorb oder beim Checkout Prozess eingesetzt werden. Wer das Prinzip in Kombination mit Completion anwenden möchte, kann in Richtung eines Fortschrittsbalkens denken, der die Schritte bis zum erfolgreichen Kaufabschluss aufzeigt.


Fazit

„Ohne Daten sind Sie nur eine weitere Person mit einer Meinung“, sagte bereits der Statistiker William Edwards Deming. 

Ich hoffe dir einen spannenden Einblick in die Metaanalyse zur Wirksamkeit von Behavior Patterns auf Basis unseres über Jahre gewachsenen Datenpools gegeben zu haben! Dank dieser Forschung haben wir wertvolle Insights für erfolgreiche Optimierungen generiert und Wirkungsweisen psychologischer Prinzipien besser verstehen können. Mit jedem neuen Experiment, welches nun in die fortwährende Analyse fließt, generieren wir weitere Erkenntnisse.

Auch wenn der Einsatz der Behavioral Science nachweisbar zu beeindruckenden Uplifts führt, ist es mit der bloßen Verwendung von Behavior Patterns nicht getan. Die Analyse zeigt, dass es weitaus mehr Perspektiven braucht, um die richtigen Signale an den Entscheider zu senden. Erst das Wissen über die Customer Journey und die darin befindlichen Motivatoren und Demotivatoren ist Grundlage, um wirklich wirksame Wachstumshebel zu identifizieren. 

Wer weitere, spannende Aufschlüsse und ein neues Modell für den Einsatz von verhaltensökonomischen Prinzipien im E-Commerce erfahren möchte, sollte sich auf keinen Fall den growth marketing SUMMIT 2021 entgehen lassen.

Über den Autor

Ilja Gurevich

Marketing Specialist

Als Marketing Specialist bei konversionsKRAFT verantwortete Ilja unter anderem die Webinare, den Social Media Auftritt des Unternehmens und das Performance-Marketing.

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