Wie das „Fat Cat Syndrom“ Innovation und Experimentieren verhindert
Andy Grove soll ein sehr ruhiger und bescheidener Mann gewesen sein.
Sein Managementstil galt als diszipliniert und hart – aber fair.
Dass er als Mitgründer von Intel einer der einflussreichsten Männer der IT Geschichte war, wäre einem bei einer Begegnung wahrscheinlich nicht aufgefallen. Er hätte im Restaurant neben Dir sitzen können, er wäre einfach nur ein ruhiger und bescheidener Mann gewesen.
„Success breeds complacency. Complacency breeds failure. Only the paranoid survive.“ – Andrew Grove (1936-2016), „late-cofounder“ und ehem. CEO von Intel
„Only the paranoid survive“ ist der Titel seines 1996 erschienenen Buches. Was Andy Grove damit meint, ist so etwas wie die Quintessenz eines recht trivialen und dummerweise auch unscheinbaren Prinzips, dem ich ebenfalls bereits erlegen bin. Dumm deshalb, weil es ein Prinzip mit magnetischer Anziehungskraft ist, das Unternehmer:innen schon alles gekostet hat, was sie haben.
Ganze Konzerne sind schon am „Fat Cat Syndrom“ gescheitert und haben tausende Jobs mit in die Tiefe gerissen. Die besten Manager:innen sind dafür genauso anfällig wie jeder andere Mensch auch. Mitunter ist es kaum möglich, dem beinahe magischen Magnetismus dieses Prinzips zu entkommen…
Das Prinzip ist ganz einfach:
Du startest eine Sache. Du arbeitest hart dafür.
Es gibt Rückschläge. Das fühlt sich blöd an, aber du arbeitest weiter hart für den Erfolg.
Du meisterst die Rückschläge, der Erfolg stellt sich irgendwann endlich ein.
Du wirst nach langer harter Arbeit endlich mit dem Erfolg belohnt, den du dir so lange gewünscht hast. Du genießt den Erfolg!
Das geht eine Weile gut. Doch unbemerkt hat sich die Welt ein wenig weiter gedreht. Dinge sind passiert, Wettbewerber haben sich verbessert, Kunden haben sich verändert oder Technologien haben sich weiterentwickelt.
Du bist immer noch erfolgreich genug, um den Erfolg in vollen Zügen zu genießen. Im Angesicht deines Ruhmes und deiner Stärke möchtest du dich nicht mit derlei Störungen beschäftigen, sie sind keine echte Bedrohung. Du bist weiterhin die Nummer eins!
Der erste Schritt ins Verderben ist hier bereits passiert. (Sorry für die blumige Beschreibung). Auch wenn sich die Welt nur ein kleines Stück weit verändert hat, auch wenn du immer noch erfolgreich bist – in dem Moment, in dem du eine mögliche Bedrohung nicht als solche wahrnimmst, bist du bereits dem Fat-Cat-Syndrom erlegen.
Eine kleine Bequemlichkeit, die irgendwann dazu führt, dass du dich angesichts deines Erfolgs nicht mehr mit der Realität auseinandersetzt. Du bist gefangen in einem sich selbst verstärkenden System, das früher oder später zu massiven kognitiven Verzerrungen führt. Angewendet auf Teams und Organisationen führt dies zum Leugnen von Risiken, zum Ändern der Realität, zu einer künstlichen Subkultur in einer „Bubble“ in der es weiterhin nur um Größe, Macht und Erfolg gehen wird.
Vielleicht ist das Fat-Cat-Syndrom ein Geisteszustand, der uns schützen soll. Das Resultat dieses Schutzzustands ist jedenfalls Selbstgefälligkeit und im schlimmsten Fall Arroganz.
Die zwei Mindsets und wie wir uns selbst anlügen
Wir können uns jederzeit für eine von zwei mentalen Grundeinstellungen entscheiden. Diese beiden „Mindsets“ würde ich wie folgt beschreiben:
Mindset a) ist die bequeme Pseudo-Realität der Stärke, die unserem Ego gut tut, die von den meisten größeren Organisationen auch als Führungsstärke angesehen wird. Eine Stärke aus der heraus Entscheider:innen wichtige Entscheidungen treffen darf, das liefert ein Gefühl von Macht und Status.
oder
Mindset b), die unbequeme tatsächliche Realität, in der es permanent Bedrohungen gibt, in der wir nicht die Antworten auf alle Fragen haben, in der sich echte Führungskräfte die Zeit nehmen, um zu analysieren, um zuzuhören, Bedrohungen zu erkennen (auch wenn sie noch gar keine Bedrohungen sind). Das kann sich manchmal anstrengend und vielleicht sogar beängstigend anfühlen.
Das Resultat des zweiten Zustandes ist jedenfalls der, den Andy Grove als „Paranoia“ bezeichnet. Paranoia deshalb, weil sich andere Menschen vielleicht fragen, warum dieser Intel-CEO, einer der erfolgreichsten IT Menschen, Chef eines der größten IT-Konzerne, mega erfolgreich – wovor hat der überhaupt Angst? Ist diese Angst überhaupt angemessen, ist sie real? Oder sind das einfach nur “Paranoia”?
Als 1962 Paul Gregg die erste Digitalkamera zum Patent anmeldete, sollte es noch über 50 Jahre dauern, bis Kodak erstmals einen Insolvenzantrag stellen musste. Die abstrakte Geschichte zur Erklärung des Fat-Cat-Syndroms zeigt hoffentlich, dass der Anfang jeder echten Bedrohung zu Beginn niemals eine reale und ernst zu nehmende Bedrohung ist. Es ist immer irgend eine Garage, in der ein paar Leute irgendeine Idee haben und es wird Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis sie zur Bedrohung wird.
Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma? Das richtige Mindset.
Es ist nicht paranoid, die Existenz eines erfolgreichen Unternehmens infrage zu stellen. Es ist nicht paranoid, nicht alle Antworten zu haben. Es ist nicht paranoid, mehr Fragen zu stellen, als Antworten zu haben. Es sind alles in Wirklichkeit gute Zeichen, dass man nicht am Fat-Cat-Syndrom leidet.
Das Fat-Cat-Syndom beruht auf einem subjektiven Gefühl der Stärke, auf Glaube und Annahme auf Ewigkeit stark und erfolgreich zu bleiben ohne sich verändern zu müssen. Es ist damit eine Art „Fixed Mindset“, das sich gut anfühlt, aber trügerisch ist.
Das von mir als b) bezeichnete alternative Mindset ist nicht so sexy. Es ist komplizierter, fühlt sich nicht so gut an und führt zu mehr Fragen als Antworten. Es ist für mich dennoch die Grundlage für ein „Growth Mindset“, eine Einstellung, in der wir akzeptieren, dass sich alles permanent verändert und auch veränderbar ist.
No Pain – no Gain.
Schmerz ist meist die Grundlage für harte Veränderungen, für Pivots und oftmals schmerzhafte Kurskorrekturen. Das muss aber nicht sein. Wer sich eingesteht, niemals alle Antworten zu haben, der wird langfristig anpassungsfähiger sein, innovativer, experimentierfreudiger. Denn ausgerechnet aus einer Position der Stärker heraus können wir doch viel besser Experimentieren und Forschen.
Das Fat-Cat-Syndrom ist oftmals das einzige, was uns davon abhält.
Möchtest du mehr über unsere Sicht auf die Kultur des Experimentierens erfahren?
In diesem Artikel erhältst du 10 praxisnahe Tipps für mehr Mut und Innovation. Auch brandeins hat einen sehr informativen Artikel über SAP-Erfolgsgeschichte.
Hier findest du außerdem eine spannende Diskussion zu dem Fat-Cat-Syndrom auf LinkedIn, damit du deine Gedanken zu dem Thema mit anderen Optimier:innen teilen kannst.