Kultur des Experimentierens: 10 praxisnahe Tipps für mehr Mut und Innovation
“Clash of Cultures” – jeder kennt den Begriff. Zwei Welten prallen ungebremst aufeinander. Es war einer dieser besonderen Aha-Momente einer Konferenz, bei der rund 700 Teilnehmer diesen Zusammenprall erleben konnten. Als Lukas Vermeer, Head of Experimentation bei booking.com, im letzten Jahr auf dem growth marketing SUMMIT auf die folgende Frage eines Teilnehmers aus dem Publikum antwortete:
“Aber was passiert, wenn IT oder Corporate Design Team mein Experiment sabotieren?”
Seine verblüffende und irgendwie völlig logische Antwort war:
“Warum sollten sie das tun? Wir arbeiten doch alle für das gleiche Ziel…”
Sicher hat diese Frage einigen in diesem Moment nicht wirklich weiter geholfen, sie hätten sich eine clevere Rückfrage, eine Taktik oder irgendein Best Practice Beispiel gewünscht, wie sie die oft ungeliebten Kontrahenten im Kampf um Experimente, Features und neue Ideen besänftigen können.
Warum ist seine Antwort dennoch die beste, die man auf diese Frage geben kann?
Es geht um die Kultur des Experimentierens.
Lukas Vermeer ist Director of Experimentation bei Booking.com. Er kombiniert Online-Experimente und Data Science mit einem akademischen Hintergrund in Informatik und maschinellem Lernen. Bei booking.com ist Lukas dafür verantwortlich, dass in der Produktentwicklung, die Customer Experience mittels messbarer Schritte und Tausenden von Experimenten verbessert wird.
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Lukas Vermeer’s Antwort demonstriert auf ganz vielen Ebenen, dass die Unternehmenskultur von booking.com das Experimentieren tief verankert hat. Ergebnisse sind längst betriebswirtschaftlich messbar und viele Aspekte sind auf einer grundsätzlichen Ebene gelöst, um diese Kultur auch “ausleben” zu können.
Im Gegensatz dazu kämpfen viele Menschen in Unternehmen, die sich nur oberflächlich transformiert haben, gegen die Windmühlen einer starren Kultur, die eher risikoavers ist und wenig Freiraum für Experimente lässt.
Hinweis: Wenn dich das Thema interessiert, kannst du folgende Dinge tun:
- Zehn Minuten Lesezeit für den kompletten Artikel investieren, um das System zu verstehen.
- Nur zwei Minuten für unsere zehn Praxistipps investieren.
- Aktiv den Austausch mit Gleichgesinnten, etwa in unserer Growth Ambassador Community, suchen – hier ist das Thema ursprünglich gestartet. Danke für die Impulse und das Feedback an diese Stelle an die Kollegen dort!
“From rigid and risk-averse to agile, experimental, and adaptable.”
Jeder kennt die typischen Symptome einer starren und risikoaversen Unternehmenskultur, die das Experimentieren ausbremsen. Oft stecken dahinter Ängste, dass datengetriebene Methoden die Wahrheit, und damit Fehler ans Tageslicht befördern. Ein paar dieser Symptome lauten:
- Aussagen von Kollegen und Führungskräften: “Wir wissen doch schon, was am besten funktioniert, lass’ es uns einfach direkt ausrollen. Das spart Zeit und wertvolle Ressourcen.”
- Trotz agiler Team-Setups werden vom Management immer noch Redesign-Projekte vorangetrieben.
- Es wird wenig datengetrieben validiert (z.B. über A/B-Tests) und falls doch, sind es eher kleine Experimente auf der Ebene von Features, Wordings oder Templates.
- Die wenigen Experimente liefern kaum signifikante Resultate, die einen Einfluss auf das betriebswirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens haben.
- Teams leiden unter einer oberflächlichen Konsenskultur, bei der nur vom ganzen Team getragene Ideen umgesetzt werden – je größer die Teams, desto durchschnittlicher die Ideen.
- u.v.m.
Das Resultat: öde ‘Feature Factory’ statt digitalem Wachstum
John Cutler beschreibt bereits ganz gut, was aus der Sicht agiler Produktteams in so einer Kultur passiert. Roadmaps werden vom Management vorgegeben, echte Innovation findet nicht mehr statt. Business Verantwortung wird den agilen Teams entzogen. Das Hamsterrad der agilen Tretmühle, bei dem es nur noch um Story Points, Velocity und den Release Train geht, beginnt.
Letztlich geht es in einer solchen Kultur primär um Effizienz und wenig um Effektivität. Die Visualisierung und Illustration des Experimentation Frameworks zeigt zur Verdeutlichung die strategischen Auswirkungen dieser Kultur:
Dabei wird deutlich, dass ein erprobtes Gegenmittel zur Vermeidung der besagten Feature Factory (im Diagramm verwende ich den Begriff “Build Trap” von Melissa Perri), das Erschaffen einer Kultur des Experimentierens, die tief in der DNA verankert ist. Eine solche Kultur zeichnet sich dadurch aus, dass auf allen Ebenen experimentiert wird, d.h. es werden auch kontrastreiche und mutige Experimente durchgeführt.
Der neue Tesla Roadster ist ein Experiment
In starren und traditionellen Organisation wird noch diskutiert, ob man einen “Smoke Test” oder einen “Fake Door Test” auf einer Website überhaupt machen darf. “Das irritiert doch unsere Kunden!” oder “Das können wir nicht machen, das ist falsch!” sind typische Schmerzen einer fehlenden Unternehmenskultur des Experimentierens.
Während dessen verkauft der kalifornische Autobauer Tesla bereits ein neues Elektrofahrzeug der Superlative den neuen Tesla Roadster. Mit knapp 2s Beschleunigung von null auf 100 und 1.000 km Reichweite ein Supersportwagen – seiner Konkurrenz weit voraus.
Was viele nicht verstehen: Das Auto gibt es noch gar nicht.
Während die klassische Produktionskette traditioneller deutscher Autobauer vorsieht, dass das Produkt erst entwickelt, designt, produziert und dann vermarktet wird, dreht Tesla die Kette gemäß agiler Prinzipien um und startet als Erstes mit dem Verkauf eines Prototyps. Die Vorstellung war bereits 2017 und seitdem ist das Auto bestellbar – lange bevor es produziert wird.
Der Tesla Roadster ist ein MVP und mithilfe der Vorbestellungen kann Tesla die Entwicklung finanzieren und die Nachfrage am Markt quantitativ validieren.
Das Ganze ist also ein Experiment – und zwar ein sehr kontrastreiches, ein Experiment auf Produktebene.
Digitale Transformation: Effizienz killt Mut und Fehlertoleranz
Effizienz heißt: Die Dinge richtig tun. Agile Methoden einführen, die verschiedenen Methoden korrekt implementieren, auf die richtige “Velocity” achten.
Effektivität heißt: Die richtigen Dinge tun. Entscheiden, was entwickelt werden soll. Innovation mit Kontrast statt Optimierung in der Rille.
Mozilla ist ein typisches Beispiel für viel Effizienz und gleichzeitig fehlende Effektivität. Das Unternehmen hat seit dem Niedergang des ursprünglichen Produkts, dem Netscape Browser, seit 2004 insgesamt 82 Versionen vom Firefox Browser herausgebracht. Die Versionsgeschichte zeigt deutlich, dass zwar viel aber eben nicht “das Richtige” passiert ist.
Das Resultat: Das Produkt ist mit 7 % Marktanteil in der Bedeutungslosigkeit versunken:
Über die Nokias und Kodaks dieser Welt, die Innovationen weder effizient noch effektiv vorangetrieben haben, brauchen wir gar nicht sprechen.
Effizienz reicht zum Überleben nicht aus
In einer überlebensfähigen Unternehmenskultur, die mithilfe von Experimenten kundenzentriert mutige Innovationen vorantreibt, braucht es also die Kraft der Effektivität. Nur mutige und kontrastreiche Experimente werden Einfluss auf die Anpassungsfähigkeit und die Innovationskraft von Unternehmen haben.
Und genau an dieser Stelle fehlt es am häufigsten.
Meine Beobachtung: Den meisten Organisationen gelingt es nicht einmal, überhaupt sinnvolle Experimente auf die Beine zu stellen. Während auf der Ebene von Features und Templates der eine oder andere A/B–Test umgesetzt wird, werden die großen Projekte und Initiativen meist komplett ohne datengestützte Validierung vorangetrieben.
Die Folge: Die Organisationen lernen nicht; niemand sieht die Opportunitätskosten fehlender oder falscher Experimente. Bei der Frage, ob sich eine Organisation “zutraut”, die richtigen Dinge zu tun, geht es daher um die Frage “wie machen wir das?”. Es geht primär um Einstellung, Werte und Kultur.
Eine Kultur des Experimentierens ist die treibende Kraft für kontrastreiche Innovationen
Oh jeh. Kultur. Ausgerechnet.
Das mit Abstand komplexeste und abstrakteste Thema überhaupt.
Technologie kann man ja noch kaufen – aber Kultur? Kultur ist ein kollektives implizites Wissen über Verhalten, Normen und Werte – wie lässt sich das überhaupt beeinflussen?
Kein Wunder, dass an der Unternehmenskultur die meisten Organisationen und Manager scheitern. Sichtbar wird dieses Scheitern meist in Form von leb– und bedeutungslosen PDFs, auf denen die Unternehmenswerte in Form bunter Adjektive beschrieben werden.
Manchmal wird das Scheitern auch sichtbar in Form punktueller Versuche, die Unternehmenskultur hands-on in Form von Trainings und Workshops zu beeinflussen. Lustige Offsite-Events mit vielen bunten Flipcharts entstehen dann – und alle sind kurz so “yeah!”… Dieses kurze Aufflackern der Bemühungen hinterlässt aber genau so viel Wirkung wie ein ins Meer geworfener Stein – nach ein paar Wellen ist das Thema untergegangen.
Dabei lässt sich der abstrakte Begriff Kultur durchaus dekonstruieren und die nachhaltigen Einflüsse auf diese Weise verdeutlichen:
Es ist eigentlich ganz einfach: Wer die Unternehmenskultur beeinflussen möchte, sollte die beeinflussenden Faktoren verstehen.
Kultur ist immer ein Resultat kollektiver Normen, die sich durch das Verhalten von Führungskräften letztlich auf die gesamte Organisation überträgt, von Prozessen und Ritualen geprägt wird sowie anhand von Vision und Zielen überprüft wird.
Es ist nicht immer klar und eindeutig, an welcher Stelle die Kultur entsteht, aber fest steht, dass Führungskräfte und Management einen großen Einfluss darauf haben, da sie die anderen beiden Elemente am stärksten beeinflussen können. Das heißt aber nicht, dass nicht jeder Einzelne die Kultur mitgestalten und nachhaltig beeinflussen kann.
Im Gegenteil: mithilfe von Daten aus Experimenten lässt sich ganz einfach ein positiver Feedback-Loop gestalten.
So schaffst Du mit Experimenten einen Feedback-Loop, der die Kultur nachhaltig verändert
Genauso, wie eine Organisation auf Fehler und negative Resultate mit einer Begrenzung der Möglichkeiten und Freiräume reagiert, so reagiert sie auch auf positive Resultate mit einer Erweiterung der Möglichkeiten und Freiräume. Genau an dieser Stelle sind Experimente sogar ein möglicher “Boost” für die Bemühungen im Bereich Digitale Transformation.
“Digitale Transformation ist für viele ein Buzzword – in Wirklichkeit geht es aber darum, Organisationen von innen heraus agiler, kundenzentrierter und datengetriebener zu gestalten.”
– André Morys
Bei konversionsKRAFT beschreiben wir die Erfolgsfaktoren digitalen Wachstums mit dem Agile Growth Model (sieh dir dazu das folgende kurze Erklärvideo an.):
Es zeigt folgende Zusammenhänge der drei Kernfaktoren:
1. Customer Centricity: Ohne die Kundenzentrierung passen Produkte / Features / Customer Experiences nicht zum Bedarf der Kunden – es fehlt die Grundlage für Wachstum
2. Agile: Ohne agile Methoden dauert es zu lange, bis die entsprechenden Features oder Produkte gebaut sind. Timeboxing und Sprints sind quasi die “geometrische” Grundlage für digitales Wachstum
3. Data Driven Experimentation: Ohne die Messung / Validierung der Sprint Outcomes gibt es keinen Lerneffekt – die Organisation könnte unbemerkt sogar Features oder Produkte mit negativem Effekt deployen
Diese drei Kernfaktoren sind die primären Bestandteile der digitalen Transformation auf kultureller Ebene. Ohne den Kraftschluss dieser drei Faktoren entsteht auch kein Wachstum – sondern die bereits geschilderte Feature Factory mit ihrem Bestreben nach Velocity, vollen Backlogs, ‘busyness’ und ohne echtes Wachstum.
Lass mich den Konflikt innerhalb der digitalen Transformation kurz zusammenfassen:
“Egal ob politisches / gesellschaftliches Zeitgeschehen oder Unternehmenskultur: Es gibt einen Diskurs zwischen ‘Glauben’ und ‘Wissenschaft’. Datengetriebenes Experimentieren ist der wissenschaftliche Weg zu Wachstum – leider stecken viele Unternehmen noch im geistigen Mittelalter der Glaubenskriege fest.”
– André Morys
Warum bisherige Ansätze nicht die gewünschte Wirkung zeigen
Unternehmenskultur ist bislang ein abstraktes Modell. Auch wenn die Auswirkungen in der Praxis leicht in Form von Symptomen spürbar sind, die Auswirkungen auf betriebswirtschaftlicher Ebene sind schwer messbar.
Die meisten existierenden Modelle und Ansätze fokussieren sich auf Bestandsaufnahmen, Entwicklung und Dokumentation einer Vision, Ableitung von Maßnahmen, Trainings und Coaching von Führungskräften und Mitarbeitern etc. In der Regel gibt es jedoch harte Währungen in Form von Zielen und Prozessen, Projekten etc. die diese Mühen im Alltag schnell wieder zunichtemachen.
Ohne relevante Messgrößen, als Feedback-Kanal für die Wirksamkeit der Veränderung, sind die meisten Änderungen jedoch irrelevant.
Cultural Change ohne Messung seiner Auswirkungen ist wie Abnehmen ohne Waage.
Genau an dieser Stelle spielt jedem, der sich mit datengetriebener Optimierung und Experimenten beschäftigt, ein Trumpf in die Hand: Die Auswirkungen werden betriebswirtschaftlich messbar.
Sobald ein mutiges und kontrastreiches Experiment den betriebswirtschaftlichen Erfolg als härteste Währung im Unternehmen für sich verbuchen kann, passiert der geschilderte Effekt: Die Kultur wird nachhaltig in die andere Richtung geprägt, es entstehen mehr Freiräume, es entsteht im Idealfall sogar eine Nachfrage nach weiteren solchen Experimenten.
Doch dafür sind ein paar Voraussetzungen nötig, die ich im nächsten Abschnitt mithilfe des vorgenannten Modells erläutern möchte:
10 Hebel aus der Praxis, die helfen, eine Kultur des Experimentierens zu schaffen
Vorab: Es gibt viele taktische Maßnahmen, um aus einer operativen oder lateralen Rolle heraus überhaupt aus der Ohnmacht zu entkommen. Die nachfolgenden Tipps und Taktiken sind kein systematisches Programm. Manche sind direkt umsetzbar, andere erfordern die Mitarbeit anderer Stakeholder.
Zusammen sollen sie dir im Alltag helfen, in vielen kleinen Schritten etwas Großes zu erreichen. Programme zur digitalen Transformation werden oft groß gedacht und umgesetzt aber enden dann mit kleinen Resultaten.
Diese Liste ist in Zusammenarbeit mit den Growth Ambassadors entstanden, einer ausgewählten Riege von Experten, die das Thema Experimentieren gemeinsam voranbringen. Vielen Dank dafür!
Schließe dich gerne an und bereichere unsere Diskussionen!
Schnellnavigation:
1. Kommuniziere transparent Resultate
2. Gamification – erschaffe ein Belohnungssystem
3. Erzeuge Demut durch Aha-Momente
5. Fokussiere dich auf eine “Spielwiese”
6. Delta und Aufgabe explizit machen
7. Suche einen Sponsor aus dem Management
8. Dokumentiere den Prozess und die Metriken
10. Erzeuge “Pull” statt “Push”
1. Kommuniziere transparent Resultate
Vor allem, wenn es um spannende Erkenntnisse geht, ist eine transparente Kommunikation enorm wirkungsvoll. Also bspw. Gewinner, auf die niemand gesetzt hatte oder um Konzepte, die kontraintuitiv sind und bestehende Glaubenssätze widerlegen.
Stelle vor allem die Erkenntnisse in den Vordergrund und hebe hervor, wenn ein mutiges oder kontrastreiches Konzept mit spannenden Erkenntnissen belohnt wurde!
a. Review nutzen: Im agilen Methodenbaukasten wäre ein Review Meeting die beste Gelegenheit, um die Resultate und Erkenntnisse zu teilen.
b. Townhall- und Allhands-Meetings: Teile Fortschritte und auch spannende Resultate mit einer größeren Gruppe von Kollegen, um “Pull” zu erzeugen.
c. Intranet / interne Newsletter: Oft gibt es irgendwo im internen Wissensmanagement (Confluence, Wiki, Slack o.ä.) einen selten genutzten Bereich, in dem Testresultate schlummern. Hole die Erkenntnisse nach vorne und involviere mehr Menschen in die Ergebnisse und Erkenntnisse. Das volle Potenzial wird selten genutzt.
2. Gamification – erschaffe ein Belohnungssystem
Im Kern sollen mutige Experimente nicht nur kommunikativ geteilt werden – es sollte aus der Organisation heraus eine positive Anerkennung geben, ein relevantes Feedback oder gar eine Belohnung. Dies ist der Mechanismus, der einer Fehleraversion entgegenwirken soll – daher ist er von großer Bedeutung.
a. Leaderboards und Tippspiel: Am einfachsten ist es, Kollegen auf Gewinner tippen zu lassen – ähnlich einem Tippspiel im Fußball. Das führt vor allem dazu, dass die Beteiligten Kollegen lernen, wie oft sie auch falsch liegen. Dazu benötigt es allerdings bereits spannende und mutige Konzepte mit nicht ganz so offensichtlichem Ausgang.
b. Anerkennung und Feedback: Noch wichtiger wäre eine formell positive Anerkennung der Erfolge durch eine Führungskraft, idealerweise eine Person, die den kommerziellen Erfolg des Produktes verantwortet. Diese Person kann die Resultate auch auf einer Managementebene teilen. (Wir kommen in Punkt 7 noch zum “Sponsor” und seiner großen Bedeutung.)
c. Gamification: Es gibt viele Mechanismen aus dem Bereich “Gamification”, wie z.B. Leaderboards, Unlocking (das “Freischalten” von Errungenschaften) etc., die teamübergreifend genutzt werden können. Wichtig ist, dass diese Systeme nicht nur positive Resultate belohnen, sondern primär auf mutige Konzepte, wichtige Erkenntnisse aus fehlerhaften Resultaten, etc. abzielen.
3. Erzeuge Demut durch Aha-Momente
Im Kern eines erfolgreichen Experimentierens steckt eine gewisse Demut. Umgekehrt ist es vielleicht leichter verständlich: Menschen, die ohnehin schon wissen, was funktioniert und was nicht, sind die Gegner des Experimentierens. Ihnen kann es nicht schnell genug gehen, sie kennen ja das Resultat schon im Voraus – wozu also noch ein echtes Experiment durchführen?
Es ist also von großer Bedeutung, Demut zu erzeugen – und das kannst du ganz einfach schaffen, indem du wertvolle Aha-Momente erzeugst. Jedes Mal, wenn jemand “Oh, damit hätte ich nicht gerechnet!” sagt, hast du so einen solchen Moment erzeugt.
Manchmal können Menschen sich jedoch nicht eingestehen, dass sie falsch lagen. Dann sagen sie “das Experiment war falsch umgesetzt” oder “falsch gemessen”. Vielleicht helfen die folgende Ideen für die härteren Kritiker:
a. Nimm Kritiker ernst – wenn sie Zweifel an einem Resultat / Experiment haben, lade sie ein, ebenfalls ein Konzept beizutragen. Geh’ die Extrameile und wiederhole das Experiment mit ihrem Beitrag. Du hast eine einmalige Chance, einen Kritiker zum Beteiligten zu machen!
b. Suche dir gezielt typische “Glaubensmuster” heraus, die es zu widerlegen gilt. Jedes Unternehmen hat solche heiligen Kühe – verlasse die Komfortzone und betreibe “Myth Busting”.
c. Werde nicht müde, den Gewinn durch ein wissenschaftliches Vorgehen immer wieder zu betonen. Du hast oftmals “Entscheider” vor dir, also Führungskräfte, die ihre Position durch ihre Fähigkeit des Entscheidens rechtfertigen. Experimentieren nehmen sie eventuell als Bedrohung wahr.
4. Schritt für Schritt
Du kannst natürlich die Kultur einer Organisation aus einer lateralen oder operativen Position heraus nicht über Nacht ändern – sei dir dessen bewusst. Oft höre ich den Tipp “wenn es nicht passt – dann geh’…” aber das finde ich zu pauschal. Fang’ lieber im kleineren Kreis an, erweitere deinen Einflussbereich und arbeite dich Schritt für Schritt voran.
a. Demokratisierung: Sobald du mit der transparenten Kommunikation mehr Kollegen oder Teams begeistert hast, solltest du Zeit und Ressourcen investieren, um das Experimentieren zu demokratisieren. Lass’ mehr Kollegen “mitspielen”, indem du den Zugang erleichterst.
b. Kleine Erfolge statt großer Hürden: Auch wenn du weißt, wie wichtig echte KPIs sind – lass’ neue Kollegen erst einmal mit einfachen Experimenten beginnen.
c. Höre nicht auf, noch frühere Experimente zu fordern: Leider tun sich Menschen schwer damit, eine Vision oder eine Idee in kleinere Schritte zu zerlegen – liefere immer wieder den Impuls dazu, möglichst früh einen Smoke Test zu machen oder ein MVP zu testen bevor wirklich viele Ressourcen investiert werden.
5. Fokussiere dich auf eine “Spielwiese”
Ergänzend zum vorherigen Tipp kannst du je nach Größe der Organisation nicht alles auf einmal schaffen. Manche Teams haben bessere Voraussetzungen als andere, zum Beispiel weil sie besser Einfluss auf betriebswirtschaftlich und strategisch relevante Resultate haben als andere.
a. Finde ein Pilot-Team: Analysiere systematisch mögliche Bereiche in Bezug auf ihr Potenzial und die Metriken, die sie beeinflussen können und fokussiere dich auf ein Team / Bereich / Produkt, bei dem die Voraussetzungen stimmen.
b. Erzeuge mehr “Pull” und schreibe das Projekt intern aus – Teams können sich als Pilot-Team bewerben. So kreierst du Nachfrage und Commitment statt Reaktanz und Zweifel.
c. Erstelle mit dem Pilot-Team eine Roadmap für das aktuelle und das kommende Quartal, verbinde dies mit Planungsprozessen, die bereits bestehen, z.B. OKR.
Die folgenden Tipps erfordern etwas mehr Aufwand oder die Zusammenarbeit mit Management, weiteren Teams oder Stakeholdern.
6. Delta und Aufgabe explizit machen
Vielen sind die Zusammenhänge zwischen den beobachteten Symptomen und dem eigentlichen Problem, der Unternehmenskultur, nicht deutlich. Kultur ist eher ein Gefühl, etwas Schwammiges, auf der impliziten Ebene. Es hilft, sich dem Thema bewusst zu werden und die Konsequenzen der Symptome zu dokumentieren, sei’ dir aber dessen bewusst, dass das Thema “Kultur” und “Change” Managementthemen sind – eventuell ergibt es Sinn, solche Themen im “Stealth-Modus” vorzubereiten und andere Begriffe zu verwenden, um Konflikte zu vermeiden:
a. Lade dein Team / das Pilot-Team / relevante Stakeholder ein und diskutiere über die aktuelle Situation im Kontext des Experimentierens, mögliche Limitationen, falsche Glaubensmuster und wo die Kultur Defizite oder Einschränkungen hervorbringt.
b. Dokumentiere eine Vision – wo wollt ihr hin? Wie funktioniert das Experimentieren in einer idealen Welt? Was ist anders und wie fühlt es sich an? Wozu führt das (Outcomes)?
c. Leite daraus eventuell einen Business Case ab – du kannst den betriebswirtschaftlichen Einfluss von Innovation und Experimenten gut in Zahlen ausdrücken und Management-konform dokumentieren.
7. Suche einen Sponsor aus dem Management
Im ersten Schritt werden positive Resultate für den “Buy-in” benötigt – diese positiven Resultate brauchen manchmal Rückendeckung. In jedem Unternehmen gibt es Führungskräfte, die sich mit kultureller Veränderung, digitaler Transformation, Leadership etc. beschäftigen und die gerne Sponsor eines Programms mit konkreten betriebswirtschaftlichen Resultaten sind. Du hast ja aus dem vorherigen Schritt eine Vision und einen Business Case… Eventuell solltest du dich aus deiner Deckung wagen und einen Schritt nach vorne gehen:
a. Bringe A/B-Testing auf eine C-Level-konforme Ebene und erkläre die Auswirkungen. Für viele Manager ist das Experimentieren immer noch eine taktische Methode und kein strategisch relevantes Thema.
b. Zeige das Potenzial mithilfe eines glaubwürdigen und relevanten Business Case – die große Kunst ist es, ein “weiches” Thema wie Kultur mit harten Kennzahlen zu verbinden. Umsatz, Wachstum, Marktanteil – das sind die harten Währungen in jeder Organisation.
c. Suche den Schulterschluss: Zielkonflikte und Kritiker sind eine große Bedrohung, suche daher früh eventuell weitere wichtige Stakeholder und binde sie ein. Analysiere die Stakeholder – hier findest Du eine hilfreiche Präsentation dazu:
8. Dokumentiere den Prozess und die Metriken
Selten gibt es eine im gesamten Team geteilte Klarheit über den Prozess. Es wird immer jemand sagen “klar haben wir einen Prozess” – aber: Wird er von allen gleichermaßen verstanden und gelebt? Nur ein klarer Prozess kann überhaupt optimiert werden:
a. Skizziere die Vorgehensweise mit dem Pilot-Team, beschreibe die Instanzen und ihre Bedeutung, definiere die wichtigsten Metriken, um Effizienz und Effektivität des Prozesses messen zu können.
b. Erstelle ein Dashboard, in dem alle im Unternehmen den Fortschritt erkennen können und teile wichtige Erfolge auch dort.
c. Überlege regelmäßig gemeinsam mit den Stakeholdern, wie der Optimierungsprozess weiter verbessert werden kann – wo gibt es Engpässe? Wo geht zu viel Zeit verloren? Was sind häufige Gründe für fehlende Resultate? Bringe den Fortschritt und die Erfolge immer wieder auch mit der kulturellen Veränderung zusammen.
9. Suche den Schulterschluss
Sobald du mit deinen Teams wirksam, mutig und kontrastreich experimentierst, wird es mehr und mehr Stakeholder geben. Eventuell sind die Ziele / KPIs der Experimente im Widerspruch zu den Zielen und KPIs anderer Teams. Solche Widersprüche sind oft ein wahrer Killer für Experimente und damit auch schädlich für die Kultur des Experimentierens.
a. Suche aktiv den Schulterschluss und entwickle das Programm weiter – welche gemeinsamen Metriken gibt es? Wie sind sie vereinbar? Braucht es eventuell ein “Overall Evaluation Criterion”, um mögliche Konflikte aufzulösen?
b. Hole dir nicht nur bezüglich Ziele und Abläufe ein Commitment anderer Stakeholder – mache sie zu echten Verbündeten. Ihr arbeitet unter dem Strich für die gleiche Sache!
10. Erzeuge “Pull” statt “Push”
Letztlich ist die gewünschte kulturelle Veränderung eine Bewegung in Richtung eines “Growth Mindsets” in der Organisation. Für viele Entscheider und eher dominante Manager-Typen, die meist auf der Suche nach Quick-wins sind und sich als Entscheider sehen, ist eine solche Kultur oft eine subjektiv implizite Bedrohung.
a. Nur mit hilfe der Resultate kannst du eine attraktive und begehrlichere Alternative erzeugen. Zwinge niemanden – das erzeugt nur Reaktanz, aber höre nicht auf zu evangelisieren und aufzuklären.
b. Hole Widersacher ab, nimm sie ernst, lade sie ein selbst Varianten für Experimente zu entwickeln.
c. Demokratisiere dein Programm – nur einfache, kleine Veränderungen können Schritt für Schritt etwas erreichen. Simon Sinek erklärt das Prinzip gut in diesem Video:
Ich hoffe, die Tipps sind nicht zu abstrakt und helfen dir im Alltag.
Egal wo du in deiner Rolle als Optimierer, CRO-Manager, A/B-Testing-Experte oder (setze hier deinen Jobtitel ein) gerade steckst: Es gibt mehr als den reinen Uplift, es geht darum, die Transformation zu beschleunigen und weg von Überzeugungen, Glaubensmustern und traditionellen Entscheiderfunktionen hin zu einem wissenschaftlich arbeitenden System zu kommen, das schneller bessere Entscheidungen trifft.
Ein systematischer Ansatz, der kontrollierbar messbare Resultate liefert, wird sich langfristig durchsetzen.
Habe Geduld und bleib’ dran!
Ich freue mich auf wertvolle Ergänzungen, Best Practice Beispiele und Feedback aus dem Alltag! Hinterlasse einfach einen Kommentar oder bewirb dich als Growth Ambassadors.
1 Kommentar
Harald Adam,
Habe diese Seite durch Zufall gefunden. Sehr interessant und auf jeden Fall lesenswert.
Beste Grüße sendet
Harald A. aus Oberhausen