Behavioral Science

Was passiert beim Online-Shopping? Ein Blick ins Gehirn der Konsumenten.

André Morys
 Lesezeit: 5 Minuten    
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Es ist recht warm in dem kleinen Raum. Neben mir stehen medizinisch-technische Assistentinnen und helfen dem Probanden auf eine schmale Liege. Sie scheint beinahe verschlungen zu werden von dem 40-tonnen schweren Monstrum, das ohne Warnung metallische Dinge wie Schlüssel, Uhren oder Handys wie ein schwarzes Loch einfach verschluckt. Das Gerät trägt den Namen “funktioneller Magnetresonanz-Tomograph” und macht permanent Geräusche, die sich ein wenig anhören wie House- oder Techno-Musik. “Das ist die Pumpe für das Kühlmittel” erklärt mir eine der MTAs. Der Proband verschwindet in einem metallischen Helm und wird langsam in die Röhre geschoben…

Rückblick: Vor einigen Wochen traf ich mich mit meinem Kollegen Matthias Henrici erstmals mit Prof. Oestmann von der Berliner Charité. Matthias hatte die Idee zur fMRT-Analyse. Wir spekulierten gemeinsam bei Kaffee und Kuchen darüber, ob es möglich sei, die emotionale Aktivierung im Gehirn zu messen, während Probanden Websites oder Onlineshops betrachten. Ich erklärte ihm, dass es mir wichtig sei, das letzte Bindeglied zwischen der Theorie des Neuromarketing und dem betriebswirtschaflich messbaren Output zu bekommen. “Versandhändler lieben Zahlen”. Am liebsten wär mir eine Korrelation zwischen Aktivität im limbischen System und der Konversionsrate des Shops, sagte ich. Doch Herr Prof. Oestmann war skeptisch. “Bei so einer Untersuchung erhalten wir Terrabyte von Daten. Ich bin nicht sicher, was wir im Detail herausfinden können.”

Drei Wochen später. Erste Voruntersuchungen haben inzwischen stattgefunden. Die Wissenschaftler melden sich mit Erfolgsmeldungen: Schon nach den ersten Probanden wurde sofort sichtbar, was wir vermutet hatten. Es mussten Änderungen am Versuchsaufbau vorgenommen werden, Anpassungen in der Software des Multi-Millionen-Euro teuren Gerätes. Aber die Unterschiede sind signifikant. Dazu wurden im ersten Schritt die Portale von sechs großen deutschen Onlineshops analysiert. Neckermann. Otto. Esprit. Baur. Mexx. Frontline. Wir haben nach dem größten erkennbaren Unterschied gesucht. Gefunden haben wir ihn bei den Startseiten von baur.de und frontline-shop.de. Die Forscher sind nach zahlreichen Nachtschichten sichtbar erleichtert. Das Projekt kann weitergehen.

Mittlerweile haben wir knapp 10 Probanden in das fMRT geschoben und zahlreiche Paradigmen getestet. Es ist Herbst geworden und gegen 20.00 Uhr ist es bereits dunkel. Der Fernsehturm ragt hell erleuchtet über die Dächer der Charité in Berlin. Ich betrete das Bundeswehrkrankenhaus in der Scharnhorsterstr. 13. “Militärisches Gebiet” steht an dem Gebäude. Ich werde durch Gänge zwischen Gebäuden hindurchgeführt. In einem eigenen Gebäude, umgeben von einem Faraday’schen Käfig, steht das fMRT des Bundeswehrkrankenhauses, an dem Prof. Oestmann die Forschungsarbeiten für uns durchführt. Inzwischen ist auch das Fernsehteam eingetroffen. Wir freuen uns über die Aufmerksamkeit, die unser Projekt anzieht. Die Wünsche der Kameraleute sind jedoch schwierig zu realisieren. Die Ton-Frau fragt, ob man das Geräusch abschalten könne. Die MTA erklärt den Zusammenhang zwischen Kühlmittel, Magnetfeld und Untersuchung. “Wir können aus diesen roten Knopf drücken, dann ist das Gerät in 30 Sekunden aus. Das kostet aber 50.000 Euro.” Es muss wohl auch mit Geräusch gehen.

Rund 40 Minuten dauert die eigentliche Untersuchung. In einem ersten anatomischen Scan wird der Schädel untersucht und vermessen. Nach 4 Minuten geht es an den ersten Test einer Website. Die Geräusche werden lauter, bis zu 170 dB werden es im Inneren der Röhre, ohne den Gehörschutz würden die Probanden auf der Stelle taub werden. Nun läuft die eigentliche funktionale Messung. Das fMRT erkennt Veränderungen an der Durchblutung mit einer Auflösung von wenigen Millimetern. Unser Zielgebiet, die Amygdala, ist ca. 2 cm groß. Der Proband sieht nun verschiedene Startseiten von Online-Shops und Webportalen. Wir wollen wissen, wie er auf die verschiedenen Designs reagiert. Am Monitor erkennen wir unmittelbar, welche Teile seine Gehirns aktiv sind.

“Macht es Ihnen Angst, dass man Ihnen direkt ins Gehirn schauen kann?” hatte die Reporterin vor der Untersuchung gefragt. Der Proband ist Medizinstudent und antwortete gelassen: “Nein, ich weiß ohnehin was da passiert”. Jetzt liegt er inmitten eines Magnetfeldes, das 60.000 mal stärker ist als das der Erde. Kleinste Veränderungen der Hämoglobin-Menge macht das Gerät aufgrund der magnetischen Eigenschaften von Eisen im Hämoglobin sichtbar. Für uns sind es farblich markierte Stellen im Schädel.

Es ist fast 21.00 Uhr, als wir das Dienstzimmer von Prof. Oestmann an der Charité betreten. Nach der Untersuchung mit dem fMRT sind wir zur Besprechung der Ergebnisse die rund 600 Meter an diesem kühlen Herbst-Abend gelaufen. Unzählige Monitore stehen in Reih’und Glied, ich komme mir vor wie im Nasa Kontrollzentrum. Am Himmel leuchtet eine “Charité” Leuchtschrift. Die Gänge sind mittlerweile verlassen. In seinem privaten Hörsaal wirft der Professor die Bilder der Hirnscans auf eine riesige Leinwand. Wir erkennen die Kurven unterschiedlicher Aktivierungsmuster in der Amygdala. Inzwischen sehen wir schon an den Kurven, welche Seiten gut funktionieren und welche nicht. Einige Phänomene können wir uns aber noch nicht erklären, z.B. warum eine stetig fallende Aktivierungskurve nach über 12 Sekunden wieder ansteigt. “Vielleicht ist der Proband wütend geworden, weil er diese Seite zum fünften Mal gesehen hat”, denke ich mir. Prof. Oestmann meint, es gäbe noch sehr viel herauszufinden über die Mechanismen der menschlichen Entscheidungsprozesse.

“Why We Buy” heißt ein Bestseller von Paco Underhill, ein Erklärungsversuch aus dem Bereich der Neuroökonomie. “Buy-Ology” heißt der aktuelle Neuro-Bestseller, von Martin Lindstrom. Viel Theorie. Wie sind froh, erstmals im Praxistest die Relevanz der Neuromarketing-Theorien “live” und “in action” sehen zu dürfen.

Die detaillierte Ergebnisse der ersten Stufe liegen uns erst Ende September vor, die Verarbeitung der Daten dauert noch einige Tage.

Erste Ergebnisse haben wir als Whitepaper veröffentlicht.

Vielleicht finden wir noch mehr Unterstützer für unsere Forschung.

“Wollen Sie Verbraucher manipulieren?” hatte mich die ZDF-Reporterin gefragt. “Wir wollen Kaufprozesse besser verstehen, um sie für Konsumenten zu vereinfachen” hatte ich erwidert. Ich glaube, mit der Antwort war sie nicht ganz zufrieden.

Es bleibt spannend.

Über den Autor

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André Morys

Vorstand (Vors.)

André Morys (geb. 1974) ist Gründer und Vorstand (Vors.) von konversionsKRAFT, Deutschlands führender Agentur für Conversion-Optimierung und strategische Beratung in puncto digitales Wachstum. Darüber hinaus ist André Morys Initiator und Gründer der GO Group Digital, die ein weltweites Netz von Experten für digitale Transformation bildet.

Zu seinen Veröffentlichungen zählen “Die digitale Wachstumsstrategie” (2018) und „Conversion Optimierung” (2011) sowie zahlreiche Fachbeiträge in einschlägigen Medien zu Online-Marketing. Er ist zusätzlich als Dozent an der Fachhochschule Würzburg tätig und hält zahlreiche Keynotes und Vorträge auf nationalen und internationalen Kongressen zu den Themen digitales Wachstum, E-Commerce und Optimierungsstrategien.

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7 Kommentare

  1. Gravatar

    Steven Broschart,

    Ein sehr spannendes Thema, bei dem noch echte Pionierarbeit geleistet werden kann. Weiter so …

  2. Gravatar

    Matthias Henrici,

    Der Manipulations-Vorwurf kommt eigentlich immer ganz schnell. Mir ist bei der Befragung der Probanden aufgefallen, dass es niemanden gab der erwartet, dass er bedingt durch diese Untersuchung demnächst seinen eigenen Willen an der (online)Haustür abgeben muss. Es ist wie ein gutes Produkt- so wie das populäre iPhone – dass eben ganz einfach und lückenlos den innersten Bedürfnissen seiner Benutzer entspricht. Es hat alles was man braucht und nichts was man nicht braucht. Motivatorik ist das Weglassen von Demotivation. Unsere Suche nach der inneren Motivation sucht also vor allem nach den Dingen die der emotionalen Begeisterung entgegen stehen.

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    ShopTrainer.de,

    Das klingt unglaublich interessant. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse dieser Untersuchung. Auch gefällt uns die Mühe, Zeit und die Freude, vor allem das Engagement der mitwirkenden Personen, welches hier an den Tag gelegt wird – für Dinge, die jeder haben möchte, kaum einer bezahlen kann und hier “einfach” gemacht werden. Toll! So macht E-Commerce noch mehr Spaß!

  4. Gravatar

    blogphase,

    Sehr wirklich sehr interessantes Vorgehen, spannend und zukunftsträchtig! Ich bin schon sehr auf die Ergebnisse gespannt!

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    André Morys,

    Erste Ergebnisse gibt es als Whitepaper unter http://www.web-arts.com/fmrt

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    Mesut Yilmaz,

    Ein sehr interessant geschriebener Artikel zu einem wirklichn faszinierendem Thema, ich bin gespannt auf Ihre Studienergebnisse, und vielen Dank für das Whitepaper.

  7. Gravatar

    Verena Kurth,

    Sehr interessantes Thema – auf die Ergebnisse werde ich in meinem Blog http://www.kompass-blog.de hinweisen. Ich bin neugierig auf weitere Artikel und Forschungen.

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